Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0315 - Wenn der Totenvogel schreit

0315 - Wenn der Totenvogel schreit

Titel: 0315 - Wenn der Totenvogel schreit
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
dieser Situation mussten der Totenvogel und der Mensch eine von der Hölle gelenkte Symbiose eingegangen sein. Beide bildeten eine Lebensgemeinschaft, und möglicherweise konnte der eine ohne den anderen nicht existieren.
    Wie schrecklich war das Gesicht!
    Grau wie ein alter Stein, dabei in die Länge gezogen und von tiefen Furchen durchsetzt, die wie kleine Rinnen innerhalb der Haut wirkten. Ohren sah ich nicht, und dort, wo bei einem Menschen die Nase wuchs, stach ein gekrümmter Schnabel hervor, über dem zwei Augen zu sehen waren. Unter dem Schnabel, fast noch von der Spitze verdeckt, sah ich zwei Striche, die ein Maul andeuteten. Als mein Blick darauf fiel, öffneten sie sich, und eine graue Zunge huschte hervor.
    Der Hals war gekrümmt, während die Schwingen abstanden wie die Tragflächen bei einem Düsenjet.
    Er bewegte sich.
    Ein kurzer Sprung nur, dann hatte er auf einem starken Ast seinen Platz gefunden.
    Von dort starrte er mir genau ins Gesicht, denn er hatte den hässlichen Schädel gesenkt.
    Ich hielt dem Blick stand.
    »Du hast es geschafft?« Eine krächzende Stimme fragte mich dies, und sie war dabei aus dem Schnabel gedrungen.
    Ich musste einige Male schlucken, um diese Tatsache verdauen zu können, denn noch verstand ich das Ganze nicht.
    »Wer bist du wirklich?« fragte ich.
    »Der Totenvogel.«
    »Natürlich. Und ein Günstling der Hölle.«
    Das Lachen klang krächzend. »Selbstverständlich bin ich ein Günstling der Hölle. Es ist der Teufel gewesen, der mich, den Totenvogel, geschaffen hat. Erinnerst du dich nicht? Wie lange habe ich schon gelebt? In den Geschichten der Menschen bin ich stets erwähnt worden. Manchmal, wenn die Hölle es zulässt, komme ich in diese Welt und zeige mich. Viele wissen sofort Bescheid, dass, wenn sie den Totenvogel einmal gesehen haben, ihre Lebensuhr abgelaufen ist. So erzählt es die Legende, so ist es auch in Wahrheit. Ich bin der Bote der Hölle, ich soll den Menschen ihr Ende verkünden.«
    »Und was ist mit ihm?« Damit meinte ich den Baron, bewegte meinen Arm und deutete mit der Fingerspitze nach unten.
    Der seltsame Kopf folgte meiner Bewegung. »Er liebte die Vögel über alles«, erklärte mir der Teufelsgünstling. »Für ihn gab es nichts anderes auf der Welt. Er beschäftigte sich mit dem Studium dieser Tiere. Es war klar, dass er irgendwann einmal auf mich stoßen würde. Er war von mir fasziniert und wollte mich unbedingt sehen. Das hat er geschafft. Schwarze Magie machte dies möglich. Der Teufel entließ mich aus den Reichen der Finsternis, stellte mich ihm zur Seite und hatte von nun an einen Diener mehr, denn die Seele hatte ihm der Baron schon längst verschrieben. Der Duke of Hanlock gehört bereits dem Satan.«
    »Aber er lebt.«
    »Natürlich. Noch lebt er.«
    »Wieso?«
    Abermals hörte ich das krächzende Lachen des Totenvogels und vernahm danach die menschliche Stimme aus seinem Maul. »Er lebt so lange, wie ich es will. Hat er seinen Auftrag nicht erfüllt, wird er sterben. Diese Macht habe ich über ihn, denn in der Doppelexistenz bin ich der wahrhaft Stärkere. Soll ich es dir beweisen?«
    »Nein, das…«
    Er unterbrach mich. »Ich werde es dir beweisen. Ich muss es dir sogar beweisen, denn der Baron hat versagt. Wer einmal versagt, dessen Leben ist verwirkt nach den Gesetzen der Hölle. So wie das des Barons. Und du kannst Zeuge sein.«
    Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als er seinen grausamen Plan schon in die Tat umsetzte.
    Mich alarmierte ein gellender Schrei.
    Blitzschnell flirrte ich herum. Dass ich dem Totenvogel den Rücken zudrehte, war mir im Moment egal. Ich musste wissen, was mit dem Baron geschah.
    Er saß im Sarg. Beide Hände hatte er auf den Rand gestützt. Sein Kopf war gedreht, so dass er mich anschauen konnte.
    Sein Gesicht war eine Fratze. Und sie war für mich ein Zerrbild der Hölle oder ein Spiegelbild dessen, was er empfand. Vor meinen Augen verging er auf schlimme Art und Weise.
    Die Haut war alt und grau geworden. An bestimmten Stellen brach sie auf wie eine dünne Schicht. Dort stießen kleine Flammen hervor, nicht größer als ein Zeigefinger, bläulich schimmernd und dabei fauchend.
    Der Baron rührte sich nicht. Er verbrannte im Sitzen.
    Ich schaute entsetzt zu. Seine Kleidung verging, die Haut, alles, was ihn zusammengehalten hatte. Als der Schrei endlich verstummte, saß kein Mensch mehr in dem Sarg, auch kein Zombie, sondern ein Skelett.
    Erst jetzt ging ich hin, tippte das Skelett an,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher