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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen
Autoren: Elizabeth George
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aussah.
    »Wenigstens hast du einen Schirm«, stellte er fest.
    Er baumelte ungeöffnet an ihrer Hand.
    »Ja, so ein fürchterliches Billigding. Ich hab ihn am Flughafen gekauft und hab ihn bis jetzt nicht aufgebracht.« Sie zog den Gürtel des Mantels zusammen.
    »Hast du schon mit Barbara gesprochen?«
    »Am Telefon mehrmals seit Mittwoch. Aber heute noch nicht. Nein ...«
    Helen beobachtete die Leute, die um Barbara Havers und ihre Mutter herumstanden, und Lynley beobachtete Helen. Als sie sich ihm plötzlich zuwandte, wurde ihm heiß. Ihre Worte überraschten ihn.
    »Simon hat mir von deinem Fall erzählt, Tommy. In diesem Internat. Dieser kleine Junge ...« Sie zögerte. »Es muß schrecklich gewesen sein.«
    »Zum Teil, ja. Vor allem die Schule.« Er wandte sich ab. Die Frau mit den rosafarbenen Gummihandschuhen am Nachbargrab war dabei, eine Azalee einzupflanzen.
    »Wegen Eton?«
    Wie gut sie ihn kannte. Immer gekannt hatte. Ohne die geringste Mühe konnte sie in sein Innerstes hineinsehen.
    »Ich habe in Eton für ihn gebetet, Helen. Habe ich dir das jemals erzählt. In der Kapelle. Mit den vier Erzengeln in den Ecken, die auf mich herunterschauten und mir garantierten, daß meine Gebete erhört werden würden. Jeden Tag bin ich hingegangen, habe niedergekniet und gebetet. Bitte, Gott, laß meinen Vater am Leben. Ich will alles tun, Gott. Nur laß meinen Vater am Leben.«
    »Du hast ihn geliebt, Tommy. Das tun Kinder, die ihre Eltern lieben. Sie wollen nicht, daß sie sterben. Das ist doch keine Sünde.«
    Er schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe nicht nachgedacht. Ich betete für sein Leben. Helen, für sein Leben. Ich dachte nicht daran, um seine Heilung zu bitten. Ja, mein Gebet wurde erhört. Er blieb am Leben. Sechs grauenvolle Jahre lang.«
    »Ach, Tommy.«
    Ihre Wärme und ihr Mitgefühl waren zuviel. Er sprach ohne Überlegung. »Du hast mir gefehlt.«
    »Du mir auch«, sagte sie.
    Er wollte aus diesen drei Worten Hoffnung schöpfen. Er wollte sie mit Bedeutung und Verheißung füllen. Als er sie hörte, wollte er gleich noch einmal alles aufs Spiel setzen und Helen seine Liebe erklären, sie drängen, die tiefe Bindung, die zwischen ihnen seit langem bestand, endlich anzuerkennen. Aber wenn auch die zwei Monate der Trennung an seinen Gefühlen nichts geändert hatten, so hatten sie ihn doch ein Maß an Zurückhaltung gelehrt.
    »Ich habe einen neuen Sherry zu Hause«, sagte er als Antwort auf ihre drei Worte. »Willst du ihn nicht mal gelegentlich probieren und mir sagen, wie du ihn findest?«
    »Na hör mal, du weißt doch, daß ich ein absoluter Sherry-Fan bin und als kritische Begutachterin völlig hoffnungslos. Mir würde Sherry auch noch schmecken, wenn man ihn durch dreckige Socken gießt.«
    »Tja, das könnte ein Problem sein«, meinte er. »Aber in diesem Fall nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich nur saubere Socken habe.«
    Sie lachte.
    Ermutigt fragte er: »Hast du Lust, heute abend zu kommen?« Und fügte hastig hinzu: »Oder morgen. Oder einen anderen Tag. Du bist sicher müde von der Reise.«
    »Und nach dem Sherry?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht, Helen«, antwortete er aufrichtig.
    »Vielleicht erzählst du mir von deiner Reise. Vielleicht erzähle ich dir von meiner Arbeit. Wenn es spät wird, braten wir uns vielleicht ein paar Eier und lassen sie anbrennen und werfen alles weg. Vielleicht werden wir auch nur zusammensitzen. Ich weiß es nicht. Mehr kann ich nicht sagen.«
    Helen zögerte. Sie sah zu Barbara Havers und ihrer Mutter hinüber. Die Gruppe von Menschen um sie herum begann sich zu lichten. Lynley wußte, daß sie zu Barbara gehen wollte. Er wußte auch, daß er eigentlich in dieser Gruppe von Menschen in ihrer Nähe hätte sein müssen, anstatt hier zu stehen und darauf zu warten, daß die Frau, die er liebte, irgend etwas sagte, irgendeine Bemerkung machte, die ihm einen Hinweis geben würde, wie die Zukunft sich gestalten würde. Er ärgerte sich über sich selbst. Wieder hatte er Helen in eine unhaltbare Situation gebracht. Sein Drängen und seine Ungeduld würden sie immer wieder von ihm fortreiben.
    »Entschuldige«, sagte er abrupt. »Ich habe nicht nachgedacht. Das scheint bei mir allmählich chronisch zu werden. Wollen wir es ruhen lassen und zu Barbara hinübergehen?«
    Helen wirkte erleichtert. »Ja, tun wir das.«
    Sie hakte sich bei ihm ein, und sie gingen auf die Gruppe zu, die noch unter dem Plastikdach
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