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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag
Autoren: David Nicholls
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angesagten neuen Theaterpädagogik-Talenten durch Dudley zu streifen. Schauspielerei ist echt scheiße, was? Bei der Gründung der STG (Sledgehammer-Theater-Genossenschaft) haben wir großen Wert darauf gelegt, ein progressives Theaterkollektiv ohne diesen ganzen Ego-Ruhm-ins-Fernsehen-kommen-Ego-Angeberei-Schwachsinn aufzubauen, um wirklich gutes, aufregendes, originelles, politisches, selbstverfasstes Theater zu machen. Das mag in deinen Ohren dämlich klingen, aber genau das war unser Plan. Das einzige Problem bei demokratischen, gleichberechtigten Kollektiven ist, dass man Blindgängern wie Sid und Candy zuhören muss. Alles wäre halb so wild, wenn sie spielen könnte, aber ihr Newcastle-Akzent ist unglaublich, als hätte sie einen Schlaganfall gehabt, außerdem macht sie gern Yoga-Übungen in Unterwäsche. Da, jetzt habe ich deine Aufmerksamkeit, stimmts? Das ist das erste Mal, dass ich jemanden in Strapsen und Korsage den Sonnengruß habe machen sehen. Da stimmt doch was nicht, oder? Der arme, alte Sid schafft es kaum mehr, seine Curry-Fleischpastete zu mümmeln, er verfehlt ständig den Mund. Wenn sie sich schließlich was anzieht, um auf die Bühne zu gehen, und einer der Jugendlichen anzüglich pfeift, macht sie anschließend im Minibus einen auf beleidigte Feministin. »Ich kann nicht ausstehen, wenn man mich auf mein Äußeres reduziert, mein ganzes Leben lang bin ich nach meinem exquisiten Gesicht und dem knackigen jungen Körper beurteilt worden«, sagt sie und rückt den Strapsgürtel zurecht, als wäre das ein ernstes, POLITISCHES Problem, als sollten wir politisches Straßentheater über das Leid von Frauen mit tollen Titten machen. Habe ich mich zum Schwadronieren hinreißen lassen? Bist du schon in sie verknallt? Vielleicht stelle ich sie dir vor, wenn du wieder da bist. Ich sehs schon vor mir, du schaust sie mit angespanntem Kiefer an, knabberst an deiner Lippe und fragst nach ihrer Karrieeere. Vielleicht mache ich euch doch nicht bekannt …
    Emma Morley drehte das Blatt um, als Gary Nutkin, der dünne, angespannt wirkende Regisseur und Mitbegründer der Sledgehammer-Theater-Genossenschaft, hereinkam, um seine motivierende Ansprache zu halten. Die Unisex-Garderobe war eigentlich der Mädchenumkleideraum einer innerstädtischen Gesamtschule, die selbst am Wochenende immer noch den typischen Schulgeruch verströmte: Hormone, rosa Flüssigseife und moderige Handtücher.
    Im Türrahmen räusperte sich Gary Nutkin, ein blasser Mann mit Rasurbrand und bis obenhin zugeknöpftem, schwarzem Hemd, dessen persönliche Stil-Ikone George Orwell war. »Viel Publikum heute Abend, Leute! Die Aula ist fast halb voll, nicht schlecht, in Anbetracht der Umstände!«, sagte er, ohne auszuführen, welche Umstände, vielleicht war er auch von Candy abgelenkt, die gerade in einem gepunkteten Einteiler Beckenrollen übte. »Bieten wir ihnen eine Wahnsinnsshow, Leute. Hauen wir sie um!«
    »Ich würd sie gern umhauen«, knurrte Sid, beobachtete Candy und spielte mit Pastetenkrümeln. »Mit ’nem Kricketschläger voller Nägel, die kleinen Mistkäfer.«
    »Immer positiv bleiben, ja, Sid?«, beschwor ihn Candy und atmete langsam und kontrolliert aus.
    Gary fuhr fort. »Denkt daran, haltet es peppig, stellt einen Kontakt her, spielt lebhaft, sprecht den Text, als wärs das erste Mal, und das Wichtigste ist, lasst euch auf keinen Fall vom Publikum einschüchtern oder provozieren. Interaktion ist großartig. Rache nicht. Lasst euch nicht von denen auf die Palme bringen. Tut ihnen nicht den Gefallen. Noch fünfzehn Minuten!«, und mit diesen Worten schloss Gary die Garderobentür wie ein Gefängniswärter.
    Sid begann sein allabendliches Aufwärmritual, die gemurmelte Beschwörungsformel Ich-hasse-diesen-Job-ich-hasse-diesen-Job. Hinter ihm saß Kwame verloren mit nacktem Oberkörper und in zerlumpten Hosen, die Hände unter die Achseln geschoben, den Kopf nach hinten gelehnt, vielleicht weil er meditierte oder versuchte, nicht zu weinen. Links von Emma sang Candy mit hohem, ausdruckslosem Sopran Lieder aus Les Misérables und pulte an den in 18 Jahren Balletttraining erworbenen Hammerzehen herum. Emma wandte sich wieder dem gesprungenen Spiegel zu, bauschte die Puffärmel ihres Empirekleides auf, nahm die Brille ab und seufzte wie die Heldin eines Jane-Austen-Romans.
    Das letzte Jahr hatte aus einer Serie von Sackgassen, Fehlentscheidungen und abgebrochenen Projekten bestanden. Da war die Mädchenband, in der sie Bass
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