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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht
Autoren: Rebecca Ryman
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Handflächen hin. »Es konnte keine Umwege und Hindernisse mehr geben. Ich würde es auch nicht erlauben …«
    Seine Stimme verstummte, aber das Echo schien in der Nacht widerzuhallen. Olivia wußte, was er ihr enthüllt hatte. Die glühende Erinnerung, die sich einem Kind eingebrannt hatte, war die Asche, um die sein Leben kreiste – und damit auch ihr Leben. Es war die Essenz, die ihn zu dem gemacht hatte, der er war, und seltsamerweise auch zu dem, was sie geworden war. Dies also war das letzte Stück in dem Puzzle, der Kern der Zwiebel. Jai Raventhorne hatte ihr sein Innerstes geöffnet, sie dort eingelassen, und er teilte mit ihr jenen Schicksalstag, der sein Leben gestaltet, das seines Vates ausgelöscht und so viele andere ins Unglück gestürzt hatte. Ironischerweise würde Olivia sein Leben nicht teilen. Der schwarze Humor der Götter war wirklich unerschöpflich.
    »Du warst ein Hindernis, Olivia, eine Abweichung.« Er sprach jetzt aus, was er gedacht und sie aufgefangen hatte. »Ich habe dich für ein Verbrechen geopfert, das lediglich ein geographischer Irrtum war: Zur falschen Zeit befandest du dich am falschen Ort.« Die tiefen Falten um den müden Mund zuckten heftig im Mondlicht. »Du bist so töricht gewesen, den falschen Mann zu lieben.«
    Den einzigen Mann.
    Olivia korrigierte ihn nicht. »Wir geben uns der Täuschung hin, eine Wahl zu haben«, sagte sie bitter, »Liebe, Haß – es sind beides gute Puppenspieler. Sie ziehen an den Fäden, und wir machen nur die entsprechenden Bewegungen.«
    Er war über das Ausmaß ihrer Desillusionen und Niedergeschlagenheit entsetzt. Hilflos und erschöpft stand er neben ihr. Dann nahm er schnell die Kette mit dem silbernen Anhänger ab, die er wieder um den Hals trug, betrachtete das kleine, eckige Döschen in seiner Handfläche und setzte sich neben sie. Geschickt öffnete er es mit einem Fingernagel. »Hier.«
    Mit der Fingerspitze betastete Olivia die Innenseite des Anhängers. Zuerst fühlte sie nichts, dann etwas sehr Zartes, einen fast nicht wahrnehmbaren Hauch. Sie sah Jai fragend an.
    »Mir hat mein Vater das als einziges Vermächtnis hinterlassen, als teuflische, ständige Erinnerung – und als Erbe.« Er wies mit den Fingern auf seine Augen. »Aber meine Mutter bekam noch weniger von ihm. Spürst du es? Eine Haarlocke!« Er ließ den Anhänger zuklappen. »Nur diese leblosen Haare von dem verfluchten Kopf, der einmal an ihrer Schulter lag – die Erinnerung an eine Liebe, die ihr nichts gab, aber alles nahm. Sie bewahrte diese sentimentale Erinnerung wie ein Juwel auf, hütete sie und trug den Anhänger immer um den Hals.« Seine Stimme wurde leise, seine Augen richteten sich wieder in die Ferne in die kreisenden Nebel der Zeit. »Sie saß in dieser armseligen Hütte, war eingesponnen in die gespenstische Welt illusionärer Zufriedenheit, schnitzte sanft und ergeben Holzspielzeug und sang mit ihrer kindlichen Stimme, die ich jetzt noch manchmal höre. Die Galionsfigur, die Frau mit den ausgestreckten Armen, war der schönste Beweis ihrer Liebe, ein Symbol der Freiheit, nach der sie sich sehnte, obwohl sie in ihrem schlichten Gemüt so etwas Kompliziertes nicht bewußt im Sinn gehabt haben kann. Diese Frauengestalt war sie selbst. So war sie einmal gewesen, ohne Fesseln und ohne Käfig. Sie lebte in einer verschwundenen Welt, die es nur in ihrem Kopf gab. Aber mit mir teilte sie diese Welt oft und kehrte, wann immer sie konnte, zu der Unschuld zurück, die sie nie ganz verloren hatte – denn es war das einzige, was er ihr nicht nehmen konnte.« Ohne sich seiner Gefühle zu schämen, wischte Jai sich die Tränen aus den Augen. »Eine Haarlocke für ein Leben – ein ungleiches Geschäft, nicht wahr? Aber für sie war es genug. Sie wollte nicht mehr von ihm.«
    Olivia musterte das Gesicht, das wieder undurchdringlich geworden war. »Und du? Was hättest du von ihm gewollt?«
    Er reagierte sehr heftig auf diese Frage und rief: »Alles! Und ich habe mir alles genommen! Ich wünschte, ich könnte dir gestehen, daß ich es bedauere, aber das kann ich nicht.« Im Aufblitzen aristokratischer Überheblichkeit war sein Blick plötzlich wieder eiskalt. »Vergiß nicht, er hätte dich zweimal umbringen können …«
    »Leere Gesten! Sie bedeuteten nichts.«
    Seine Überheblichkeit schwand, und er seufzte müde. Vielleicht dachte er daran, daß sein Haß vergeblich war. Das Drama war zu Ende und der Vorhang gefallen. »Nein«, verbesserte er sich ruhig,
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