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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Paul Waters
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nahmen mir mein Land.« Um seine Worte zu unterstreichen, pustete er über seine ausgestreckte Handfläche. »Alles weg, alles, wofür ich geschuftet habe. Jetzt bin ich hier. Wir leben hinter den Stadtmauern wie Gefangene. Meine Frau nimmt schlecht bezahlte Näharbeiten an, und ich muss dieses miese Geschirr verkaufen, das jeden Tisch verschandelt.«
    Jemand rief ihn, doch ehe er sich entfernte, sagte er noch: »Meine Frau nennt es Schicksal. Sie nimmt es gelassen hin.«
    »Aber du nicht?«
    »Ein Mann sollte Herr seines Schicksals sein«, antwortete er. »Wir haben unseren gesamten Besitz verloren. Aber ich habe schon genug geredet. Es gilt als Verrat, so etwas auszusprechen.«
    Es war weit nach Sonnenaufgang, als wir aufbrachen.
    Ich hatte angenommen, wir seien die einzigen Gefangenen, doch kurz vor dem Aufbruch wurden sechs alte Männer in Ketten aus der Stadt gezerrt. Sie wirkten gebildet und trugen vornehme Kleidung, die im Kerker allerdings arg gelitten hatte. Offenbar waren sie ehrbare, wohlhabende Bürger gewesen, die das Rückgrat einer jeden Provinzstadt bilden – genau jene Männer also, die der Notar so gern in sein Gespinst aus Lügen und Verrat verwickelte, um ihr Vermögen einziehen zu können. Sie starrten in dumpfer Hoffnungslosigkeit zu Boden und taten, was ihnen befohlen wurde.
    Ich konnte nicht mit Marcellus reden, weil man uns getrennt hatte, doch ich fing seinen zornigen Blick auf. Wir hatten in Britannien dieselbe Unterdrückung erlebt, hatten den Notar aber schließlich verjagen können. Hier aber trieb er weiter sein Unwesen.
    Die alten Männer wurden auf einen offenen Karren verladen, und wir mussten zu ihnen hinaufklettern. Dann befahl der Hauptmann, das Tor zu öffnen.
    Von Boulogne zogen wir nach Osten über ebenes, fruchtbares Ackerland. Doch so fruchtbar der Boden auch war, die Felder waren nicht bestellt, sondern mit hohem Gras und jungen Bäumen überwachsen. Und die wenigen Gehöfte und Dörfer, die wir erblickten, wurden von primitiven, in sichtlicher Eile errichteten Palisaden und Befestigungswällen aus derben alten Mauersteinen geschützt, die von uralten Ruinen stammten. Bei unserer Ankunft vor Reims fanden wir die Stadttore geschlossen, und es herrschte kein Verkehr auf der Straße, obwohl helllichter Tag war.
    Wir zogen bis ans Tor; dann rief der Hauptmann an der grauen Kragsteinmauer hinauf. Sogleich schauten vom Torhaus Bürger mit Speeren zu uns herunter. Ob wir verrückt seien, in diesen Zeiten zu reisen, wollten sie wissen, nachdem sie erfahren hatten, wer wir waren. Ob der Hauptmann denn nichts davon gehört habe, dass germanische Stämme von jenseits des Rheins eingefallen seien; angeblich sei sogar die Festungsstadt Köln gefallen. Niemand wisse, wie weit und in welcher Zahl die Barbaren vorgedrungen seien, und es gebe kein römisches Heer, das sich ihnen entgegenstellen könne, sodass die Städte Galliens sich selbst verteidigen müssten.
    So blieben wir eine Zeit lang in Reims. Niemand schien zu wissen, was zu tun war. Die Tage verstrichen, doch jede Verzögerung, die uns vom Notar fernhielt, war uns willkommen.
    Wir wurden im Obergeschoss eines unbewohnten Stadthauses eingesperrt, auf blanken Dielen zwischen bröckelndem Putz; das Fenster gewährte den Blick auf einen morastigen Hof.
    Eines frühen Morgens kam der junge Hauptmann mit der Wache und brachte uns Frühstück. Während wir aßen, lehnte er am Türrahmen, und schließlich sprach er mit uns. Er habe Befehl gehabt, uns nach Trier zu überführen, in die Hauptstadtdes westlichen Reiches. Doch nun, da die Straßen nicht mehr sicher seien, habe er beschlossen, uns nach Paris zu bringen, wo er uns den Behörden übergeben könne und die Verantwortung für uns los sei.
    Der Hauptmann wirkte verlegen, und als er geendet hatte, trat er unruhig von einem Bein aufs andere. Er war ein einfacher Bauernbursche mit widerspenstigem blondem Lockenschopf, der viel lieber Heuschober gebaut hätte; er besaß immerhin den Anstand, sich dafür zu schämen, dass er Männer gefangen hielt, die seine Großväter hätten sein können.
    Da ich spürte, dass es ihn zu reden drängte, fragte ich ihn, ob er mit uns essen wolle. Wie vermutet hatte er auf diesen Wink nur gewartet, auch wenn es ihm vielleicht nicht bewusst gewesen war. Er hockte sich zu uns, und einer der alten Männer schob den Gemeinschaftsteller mit Brot und Käse zu ihm hin, wobei er sich beim Hauptmann nach dessen Familie erkundigte.
    Sein Vater, erzählte der
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