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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
Autoren: Clough Patricia
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angestiegen, auch das leider eine Folge der zu beobachtenden Verschiebung. Und dann sind da noch die über Siebzigjährigen … Vor dem Fernsehbildschirm wurde ich einmal Zeugin davon, wie ein junger Mann eine fünfundsiebzigjährige Frau bei einer akrobatischen Tanzaufführung über eine Bühne schleuderte. Die Frau trug einen Turnanzug. Der irische Schauspieler Colin Farrell, damals ein umwerfend gutaussehender Neunundzwanzigjähriger, gab in einem Fernsehinterview einmal zu, dass er verzweifelt versucht hätte, seine Kollegin Dame Eileen Atkins zu verführen – zu einem Zeitpunkt, als diese auf ihren siebzigsten Geburtstag zusteuerte. »Ich habe alles darangesetzt«, erklärte er trocken, »ich wollte nichts unversucht lassen. Sie ist so unglaublich attraktiv, sie ist so klug, so schlagfertig …« (Dame Eileen lehnte äußerst geschmeichelt ab). Vergessen wir nicht Jane Fonda, Jahrgang 1937, die jedem, der es hören will, erklärt, dass der Sex mit siebzig besser sei als je zuvor – was auch von wissenschaftlicher Seite bestätigt wird. Sie hat verkündet, dass sie einen erotischen Film drehen möchte mit einer Siebzigjährigen in der Hauptrolle. Die zentrale Verführungsszene hat sie schon geplant.
    Es wird noch besser: In einer Umfrage der Vanity Fair zu den begehrenswertesten Singles der Welt belegte die Fernsehmoderatorin und Komikerin Betty White kürzlich den vierten Platz. Mit achtundachtzig. Auf Platz eins lag Jennifer Aniston, die mit über vierzig auch kein Küken mehr ist. Eine der Frauen, die wir später vorstellen wollen, ist mit über neunzig noch in die Politik gegangen. Und Carmen Herrera, eine in Kuba geborene Künstlerin, verkaufte mit neunundachtzig ihr erstes Bild und galt mit vierundneunzig als heiße Neuentdeckung der New Yorker Kunstszene. Auf einmal standen Sammler und Kuratoren Schlange, um ihre Arbeiten zu kaufen.
    Die Vorstellungen, die Sichtweisen und Möglichkeiten haben sich also radikal verändert. Die letzten Tabus fallen, und ein ganz neues Bild der zweiten Lebenshälfte entsteht. Es liegt also nahe, dass wir unsere Lebensplanung dementsprechend anpassen. Und? Tun wir das auch?
    Leider ist es wohl so, dass die überkommenen, uralten Vorurteile über den letzten Lebensabschnitt ganz tief in unserem Unterbewusstsein lagern. Sissis Krise hat das deutlich gezeigt. Spätestens mit fünfzig verschwinden die Menschen, besonders die Frauen, aus Spielfilmen, aus Fernsehsendungen, aus der Werbung, aus den Hochglanzmagazinen, als wären nur die Jüngeren (und Schöneren) es wert, dass man sie betrachtet. Als hätten ältere Menschen überhaupt kein Leben. Die Kosmetikindustrie und die plastischen Chirurgen verdienen Unmengen mit dem Versprechen der ewigen Jugend. Die bösen alten Hexen unserer Kindermärchen, die alten Weiber von damals, verfolgen uns bis in die Gegenwart hinein. Selbst im Gespräch mit den empfindsamsten und aufgeklärtesten Freunden werden wir immer wieder damit konfrontiert, dass das Alter weder geschätzt noch gewürdigt wird. Selbst in unseren eigenen Köpfen, dort, wo es am gefährlichsten ist, entdecken wir immer wieder Vorurteile.
    Wer daran zweifelt, sollte sich einmal selbst fragen: Was verbinde ich eigentlich mit dem Wort alt? Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die negativen Eigenschaften, die unschönen Adjektive vorherrschen: hinfällig, hässlich, senil, hilflos … Wir sehen erst einmal einen Menschen vor uns, der irgendwie weniger ist, als er einmal war. Ist nicht gerade diese negative Konnotation der Grund, warum das Wort alt in vielen der Vereine, in denen sich ältere Menschen organisiert haben, gelegentlich sogar unter Androhung einer Geldstrafe, verboten ist? Warum sonst hätte die amerikanische Autorin Gail Sheeny ihr Buch »Sex and Seasoned Woman« genannt? Warum spricht man heute lieber von Senioren als von alten Menschen?
    Es gibt viele Frauen wie Sissi. Ich erinnere mich an Freunde und Bekannte, die zu runden Geburtstagen in tiefe Depressionen fielen, weil sie glaubten, nun plötzlich alt zu sein. In der vorangegangenen Generation war das wohl eher der vierzigste Geburtstag, heute ist es meistens der sechzigste, der siebzigste. Sissi ist nur ein wenig vorgeprescht.
    Das Verhältnis zum Alter war auch schon einmal ein anderes, wie man leicht nachlesen kann. Von Spaß war natürlich nie die Rede, ganz im
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