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Versprechen der Nacht

Versprechen der Nacht

Titel: Versprechen der Nacht
Autoren: Lara Adrian
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bewusst.
    Sie versuchte, ruhig und professionell zu wirken, trotz des seltsamen Chaos, das als Reaktion auf diesen Mann in ihrem zentralen Nervensystem ausgebrochen war. Sie trat neben ihn, wenn auch nur, um seinem musternden Blick zu entkommen, und sah zu der Reihe von fünfzehn Originalgemälden auf, die König Artus und die Ritter seiner Tafelrunde darstellten, um die Jahrhundertwende von dem Künstler Edwin Austin Abbey für die Bücherei geschaffen. »Also, was interessiert Sie mehr – Abbeys Bilder oder die Artuslegende?«
    Jetzt folgte er ihrem Blick nach oben an die Wand. »Mich interessiert alles.
Der Verstand ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entfacht werden will.«
    Savannah erkannte, dass das ein Zitat war, sie hatte es schon irgendwann im Seminar gehört. »Plutarch?«, riet sie.
    Der umwerfende Nicht-Punk neben ihr belohnte sie mit einem anerkennenden Seitenblick und einem Grinsen. »Philosophiestudentin?«
    »Nicht mein stärkstes Fach, aber ich komme klar.«
    Seine Mundwinkel zuckten ein wenig, offenbar hatte sie Eindruck bei ihm gemacht. Er hatte ein hübsches Lächeln. Ebenmäßige weiße Zähne und volle, sinnliche Lippen, die ihren Puls ein wenig schneller schlagen ließen. Und auch dieser britische Akzent tat seltsame Dinge mit ihrer Herzfrequenz. »Lassen Sie mich raten«, sagte er und musterte sie wieder auf diese entnervende Art. »Wellesley? Oder vielleicht Radcliffe?«
    Sie schüttelte den Kopf, als er die beiden renommierten privaten Colleges für Frauen erwähnte. »Uni Boston. Ich bin Erstsemester in Kunstgeschichte.«
    »Kunstgeschichte. Ungewöhnliche Wahl. Die meisten Colleges produzieren doch heutzutage nur teure Ärzte und Juristen. Oder kleine Mathegenies, die die Einsteins der Zukunft werden wollen.«
    Savannah zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich einfach mehr in der Vergangenheit zu Hause.«
    Normalerweise war das auch so. Aber nicht in letzter Zeit. Nicht nach dem, was sie gestern in der Geschichte des Schwertes gesehen hatte. Jetzt wünschte sie sich, in der Zeit zurückgehen und die Berührung zurücknehmen zu können, die ihr den brutalen Mord an den beiden kleinen Jungen aus der Vergangenheit gezeigt hatte. Sie wünschte sich, auch den anderen Schrecken leugnen zu können, den sie in der Geschichte des Schwertes gesehen hatte – die Monster, die einfach nicht existieren konnten, außer in der übelsten Horrorliteratur.
    Sie wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können zu dem Augenblick, als Rachel ihr von ihrem Date mit Professor Keaton erzählt hatte, damit sie sie warnen konnte, nicht hinzugehen.
    Jetzt, nach allem, was in der letzten Zeit passiert war, konnte Savannah in der Vergangenheit keinen Trost mehr finden.
    »Ich bin übrigens Gideon.« Die tiefe, sonore Stimme zog sie zurück in die Gegenwart, ein willkommener Rettungsanker, auch wenn er von einem Fremden kam. Er streckte ihr die Hand hin, aber sie brachte nicht den Mut auf, sie zu nehmen.
    »Savannah«, antwortete sie leise und verschränkte die nackten Hände hinter ihrem Rücken, um dem Drang zu widerstehen, seine Hand zu nehmen, auch wenn ihre Gabe mit lebenden Dingen gar nicht funktionierte. Der Gedanke, ihn zu berühren, war verlockend und beunruhigend zugleich. Sie hatte das Gefühl, ihn irgendwie zu kennen, vielleicht hatte sie ihn schon in der Bibliothek oder irgendwo in der Stadt gesehen, und doch war sie sicher, dass dem nicht so war. »In diesem Teil der Bibliothek haben wir kaum Besucher. Der Bates-Lesesaal und die Sargent-Halle sind beliebter.«
    Sie schweifte ab, aber er schien es nicht zu merken, oder es war ihm egal. Diese fesselnden blauen Augen sahen sie an, musterten sie eindringlich. Sie konnte fast spüren, wie die Mechanik seines Verstandes alles analysierte, was sie sagte und tat. Etwas suchte.
    »Und was ist mit Ihnen, Savannah?«
    »Mit mir?«
    »Welcher Raum ist Ihr Favorit?«
    »Oh.« Sie stieß ein nervöses Lachen aus, fühlte sich dumm in seiner Gegenwart, ein Gefühl, das sie sonst gar nicht kannte. Als hätten all ihre Studien und all ihre Bildung sie nicht darauf vorbereiten können, jemanden wie ihn zu treffen. Was für ein verrückter Gedanke, er machte gar keinen logischen Sinn. Und doch hatte sie dieses Gefühl. Dieser Mann – Gideon, dachte sie probeweise seinen Namen – schien alterslos und gleichzeitig irgendwie uralt. Er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das zu sagen schien, dass ihn so leicht nichts überraschen konnte. »Dieser Raum
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