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Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)

Titel: Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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hinzufügt? Ist er dann ein Philosemit oder wollte er den Interviewer nur reinlegen? Es gibt überzeugte Antisemiten und Gelegenheitsantisemiten, degenerierte und promovierte, habituelle und intellektuelle. »Der Antisemitismus ist das ›Gerücht über die Juden‹«, sagt Adorno. »Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls«, soll Bebel gesagt haben. »Antisemitismus ist, wenn man die Juden noch weniger leiden kann, als es normal ist«, witzeln die Amerikaner. Wer »Gefilte Fisch« nicht mag, Klezmer-Musik nicht erträgt und nur ungern mit der El Al fliegt, ist deswegen noch lange kein Antisemit. Wer aber bei »Spekulanten« sauber zwischen jüdischen und allen anderen unterscheidet, wer alle Berichte über Bernie Madoff gesammelt hat und überzeugt ist, dass in den Twin Towers keine Juden ums Leben gekommen sind, weil sie rechtzeitig gewarnt wurden, der ist nicht mehr über jeden Verdacht erhaben.
    Und wer auf einem »Free Gaza«-Schiff anheuert, um den Not leidenden Palästinensern abgelaufene Medikamente und altes Kinderspielzeug zu bringen, während ihm das, was in Libyen, Syrien und Ägypten passiert, am Gemüt vorbeigeht, der ist kein »Israelkritiker« auf humanitärer Mission, sondern ein ganz gewöhnlicher Antisemit, dessen »Gewissen« nur dann anschlägt, wenn er sich über Juden empören kann.
    Es ist also ziemlich einfach: Ein Antisemit hat eine negative Liebesaffäre mit Juden. Er setzt ihnen nach, sucht ihre Nähe, wie ein Vampir, der sich im Schutz der Dunkelheit an seine Opfer heranschleicht. Die Tarnung des Antisemiten ist sein Mitgefühl für die Palästinenser, aber nur für diejenigen, die von den Zionisten drangsaliert werden. Das Wenige, das ihm an Empathie übrig bleibt, widmet er toten Juden. Unter den deutschen Aktivisten auf der »Mavi Marmara«, die Ende Mai 2010 von der israelischen Marine vor Gaza aufgebracht wurde, war auch ein deutscher Politiker, Norman Paech von der Linkspartei, Mitglied im »Auschwitz Komitee«, das sich dem Andenken der ermordeten Juden widmet. Nachdem er aus Israel abgeschoben worden war, präsentierte er sich bei seiner Heimkehr wie ein Überlebender und behauptete, »deportiert« worden zu sein. Deportiert. Weniger war nicht drin. Als Opfer der Zionisten hatte er mit den Juden gleichgezogen, derer er im »Auschwitz Komitee« gedachte.
    Wie man Auschwitz und Gaza auf einen Nenner bringen kann, demonstrierte ein anderer »Israelkritiker« mit diesen Sätzen: »Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert – auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.«
    Das ist deutsche Erinnerungskultur im Hardcore-Format: Die Verbrechen an den Juden als Warnung vor den Verbrechen der Juden. Geschafft! Es steht eins zu eins. Bald wird es heißen: Wer über Gaza nicht reden will, der soll von Auschwitz schweigen.
    Und wer in Köln mit dem Zug ankommt und den Hauptbahnhof durch den Vorderausgang verlässt, der ahnt nicht, dass ihn gleich eine »Installation« erwartet, die wie eine verspätete Ausgabe des »Stürmer« anmutet. Der Bahnhofsplatz ist schon eine Weile verkehrsberuhigt. Der Umbau hat lange gedauert. Etwa so lange, wie die Chinesen brauchen, um einen Großflughafen aus dem Boden zu stampfen. Die Kölner sind sehr stolz auf ihren neuen Hauptbahnhof, aber das kommt vor allem daher, weil die meisten von ihnen noch nie in Leipzig, Dresden oder Uelzen waren. Links vom Bahnhof steht der Kölner Dom, das Beste, was die Stadt zu bieten hat, von solchen Delikatessen wie dem »Halven Hahn«, »Kölschen Kaviar« und »Himmel un Äd met jebrodener Flönz« mal abgesehen. Über eine steile Treppe kommt man auf die Domplatte. Hier haben es die Skater auf die Fußgänger abgesehen. Bevor man weitergeht, sollte man wenigstens das Gebet aufsagen, das jeder Kölner spricht, bevor er in die U-Bahn steigt: »Et kütt wie et kütt, un et hätt noch immer jot jejange.«
    Dort, wo die Domplatte endet und die Fußgängerzone mit Lacoste, Louis Vuitton, Esprit, 4711, Aigner, Starbucks und Merzenich beginnt, stehen zwei Männer im lässigen Verwahrlostenlook und halten zwei Plakate in die Höhe. Auf dem einen steht: »Israel’s aggressive Besatzungs- & Siedlungs-Politik ist das Problem! Warum greift die UN nicht ein?« Auf dem anderen: »Landraub, Massaker, Vertreibung:
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