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Underground

Titel: Underground
Autoren: Kat Richardson
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bereiteten mir keine Probleme. Es war der andere Typ Gespenst, der denken und handeln konnte, von dem ich mehr zu befürchten hatte. Ich musste an den Toten im Tunnel denken. Neben ihm war kein Geist zu sehen gewesen. Ich hatte auch keinen Schock gespürt, den sein Tod für ihn bedeutet haben musste. Selbst die Anwesenheit des Todes war außer in der Farbe des Grau nirgendwo zu sehen gewesen. Der Geruch, den er verströmte, war der eines normalen Sterblichen gewesen und hatte keinerlei magische Qualitäten besessen.
    Ich bin keine Nekromantin, weshalb ich in der Atmosphäre oder in Gegenständen auch keine Informationen über den Tod eines Menschen lesen kann. Aber falls jemand einen gewaltsamen Tod gefunden hat, konnte ich meist den Schock oder den Schmerz spüren. Wenn sich die Geister jedoch in keiner Wiederholungsschleife befanden, war das alles, was ich herauslesen konnte. Mehr nicht.
    In diesem Fall herrschte eine seltsame Leere um den Toten. War der Mann an einem anderen Ort gestorben und wurde dann in den Tunnel gebracht? Vielleicht hatte er auch ohne einen Todesschock einfach aufgehört zu existieren. Oder hatte er nur seinen Körper verlassen, der zufälligerweise ein Bein zu wenig aufwies? Das Ganze kam mir ziemlich seltsam vor und gefiel mir überhaupt nicht.
    Ich fragte mich, ob es sein Bein gewesen war, das man auf der Baustelle in der Nähe des Fußballstadions gefunden hatte. Sie befand sich nur wenige Blocks südlich von der früher einmal existenten Bronzekuh. Doch das Bein war bereits vor vielen Wochen entdeckt worden, während die Leiche im Tunnel noch keinerlei Anzeichen von Verfall gezeigt hatte. Der Mann hatte eher so ausgesehen, als ob er höchstens einen Tag tot gewesen wäre.

    Als man das Bein entdeckt hatte, war es deutlich wärmer und feuchter gewesen. Falls es sein Bein war, hätte sein Stumpf eigentlich Verwesungsspuren aufweisen müssen – ob er nun tot oder lebendig gewesen war, als er es verlor. Doch falls ihm das Bein nicht gehörte, wo war dann sein zweites Bein? Und wer oder was hatte das Loch in die Tunnelwand geschlagen?
    Ich ging weiter Richtung Park und mein Büro, das direkt dahinter lag. Angestrengt dachte ich nach. War der Mann vielleicht erfroren? Wann hatte man ihm das Bein abgenommen? Wer war er, und woher kannte Quinton ihn?
    Eine Bewegung in meinem Augenwinkel lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Ohne es zu merken, war ich auf die Main Street gestoßen. Auf der anderen Seite lag der offene Park mit den zwei Platanenalleen, die hindurchführten. Kleine Gruppen von Menschen standen unter einem gläsernen Unterstand und in der Nähe der Totempfähle. Die meisten hüpften von einem Fuß auf den anderen und schlugen die Arme um ihren Oberkörper, um sich gegen die Kälte zu schützen. In einigen Metalltonnen brannten offene Feuer, die aber vermutlich nicht lange überleben würden, da sich weder die Polizei noch die Feuerwehr von so etwas begeistert zeigte.
    Die meisten trugen mehrere Schichten aus alten, bräunlich verfärbten Klamotten, die auch durch mehrmaliges Waschen nicht mehr sauber geworden wären. Selbst aus der Ferne erkannte ich einige der Obdachlosen. Ich sah sie fast täglich um den Pioneer Square und in der Nähe meines Büros herumlungern. Sie lebten auf den Straßen und Gassen des Viertels. Einige waren drogensüchtig, andere Alkoholiker, und kein Einziger hatte ein festes Dach über dem Kopf.

    Ich entdeckte den Mann, den man Zip nannte. Im vergangenen Oktober hatte ich ihm sein Zippo-Feuerzeug zurückgegeben, das ihm ein Poltergeist abgenommen hatte, um mich damit zu bewerfen. Zip saß in der Nähe des Glasdaches und unterhielt sich mit einer Gruppe ziemlich rau aussehender junger Männer. Eine braune Papiertüte machte die Runde. Die Männer waren noch nüchtern genug, um zumindest so zu tun, als ob sie nichts Alkoholisches trinken würden.
    Außerdem war wie immer der Kerl da, der mit sich selbst sprach. Er marschierte wütend vor dem Totempfahl in Form eines Schwertwals auf und ab und murmelte etwas in einer für mich unverständlichen Sprache. Eine gewaltige Frau indianischer Abstammung saß zu Füßen einer großen Holzfigur und sah dem Mann zu. Sie lachte immer wieder vor sich hin und zog ihre Tüten näher an sich heran, um nichts aus den Augen zu verlieren. Eine Gruppe verhuscht wirkender Leute stand an der östlichen Seite des Parks um eine der brennenden Tonnen. Sie wirkten so, als ob sie selbst von den Ausgestoßenen der
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