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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung
Autoren: Vera Bleibtreu
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schmerzlich vermissen. Aber Sie kommen ja wieder. Auf Dauer können wir Mitarbeiter, die sich wie Sie für höhere Aufgaben qualifizieren, tatsächlich nicht entbehren.» Tanja und Arne strahlten Frau Klaas-Selter an. «Das hören wir doch gerne, Chefin.» «Ratte», flüsterte Arne Tanja ins Ohr. Frau Klaas-Selter drohte scherzend mit dem Zeigefinger. «Flüstern ist nicht höflich, lieber Herr Dietrich. Ich möchte doch Ihre Komplimente lieber laut hören.» Arne lächelte. «Das trau ich mich dann doch nicht, sonst halten Sie mich noch für einen Schmeichler. Manche Komplimente, Chefin, sollte man nicht hören, sonst wird man eingebildet. Sagt schon Kleist.» Frau Klaas-Selter schüttelte den Kopf. «Kleist, also, wofür Sie sich so interessieren, Herr Dietrich! Aber ich sage ja immer, wir können stolz auf unsere Beamten sein.» Damit verließ sie den Raum. Arne und Tanja schauten sich an. Dann zog Arne ein speziell präpariertes Dart-Spiel unter dem Schreibtisch hervor und reichte Tanja zwei Pfeile. «Für dich, Süße, aber wir müssen uns mit der Partie beeilen, ehe die Kollegen zum Gratulieren kommen.»

    * * *

    Tanjas Zunge klebte am Daumen. Sie räusperte sich mehrfach, es half wenig. Sie fühlte sich wie mitten in der Sahara ausgesetzt, auch wenn sie keinen Schimmer hatte, wie es tatsächlich in dieser Wüste war. Aber schlimmer als jetzt konnte es nicht sein. Ihr T-Shirt klebte, Schweiß rann ihr in Strömen vom Leib, ihre Augen waren schon ganz rot, weil ihr die Schweißtropfen in die Augen geronnen waren. Sie hatte den Eindruck, daß sie auf ihrem Stuhl klebte. Sie wagte es nicht, sich das T-Shirt über den Kopf zu ziehen, obwohl sie ganz allein zu Hause war. Sie stellte sich vor, daß sich mit dem Stoff auch ihre Haut ablösen müsse. Tanja wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß von den Händen. Sie mußte wenigstens in der Lage sein, seine Telefonnummer zu wählen. Er sah ja nicht, in welchem Zustand sie sich befand. Wie in Zeitlupe und ferngesteuert tippte sie die Ziffern. Es klingelte, sie wartete. Hatte sie jemals schon so gewartet? So ängstlich und freudig zugleich? So entmutigt und so triumphierend? Was auch immer jetzt geschehen sollte – sie war glücklich, überschwenglich glücklich darüber, daß er lebte. Im Rückblick erkannte sie plötzlich, daß das tatsächlich Liebe sein mußte. Sie würde ihn verlieren, einfach weil ihrer beider Leben überhaupt nicht kompatibel war. Aber sie spürte, daß es nichts Kostbareres auf dieser Erde gab als dieses Gefühl: zu lieben. Auch wenn sie ihn verlieren mußte: Er hatte ihr etwas geschenkt, das sie noch nie gekannt hatte. Sie hatte aus Sorge um ihn sich selbst vergessen. Und es war ihr noch nie im Leben gelungen, sich selbst zu vergessen. Sie wußte, daß es ein großes Glück war, sich selbst vergessen zu dürfen. Das Freizeichen tönte. Und dann hörte sie seine Stimme. Es war so unglaublich schön, diese Stimme zu hören. Tanja holte tief Luft. Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren fremd. «Herr Jacobi, ich möchte Ihnen mitteilen, daß Sie nicht weitersuchen müssen. Wir haben den Mörder Ihres Freundes gefunden.» «Frau Schmidt. Warum rufen Sie mich an?» «Weil ich nicht möchte, daß Sie sich einen Tag länger als nötig in Gefahr begeben.» Die Stimme wurde kühl. «Wieso glauben Sie, ich hätte Ihre Fürsorge nötig?» Sie hatte alles versaut. Er war kein Kind, ein erwachsener Mann, wie konnte sie ihm klar machen, daß sie sich einfach gesorgt hatte, gelitten hatte wie ein Hund. Plötzlich war ihr alles egal. «Es tut mir leid. Natürlich haben Sie keine Fürsorge nötig. Ich hatte nur Angst, daß Sie in Lebensgefahr sind, daß der Mörder Sie findet, bevor Sie ihn entdecken, oder daß Sie sich mit dieser Iran-Irak-Geschichte bei den falschen Leuten in Erinnerung bringen.» Sie zögerte, riskierte dann alles: «Ich hätte es einfach nicht ertragen, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre.» Sie schwieg erschöpft. «Wer war es?» fragte Jacobi. «Es war Jens Maistrom», erzählte Tanja. «Strenggenommen war es auch kein Mord, sondern Totschlag. Er hat Vogel im Affekt erschlagen, als der sein Kapital aus dem Schwalbacher Hof abziehen wollte. Da hat er rot gesehen und mit einer Weinflasche zugeschlagen. Der Mann kämpft übrigens gerade selbst mit dem Tod. Er hat versucht, seine Lebensgefährtin, meine Freundin Susanne Hertz, zu erwürgen, als die durch einen Zufall alles entdeckte. Susanne wehrte sich mit einem Schuh.» «Mit einem
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