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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung
Autoren: Vera Bleibtreu
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Erwählten ihre Begabung voll auslebten. Er setzte die Meßlatte immer ein Stückchen zu hoch, so daß er herausfinden konnte, ob sie wirklich begabt waren.» «Aber Jens war doch begabt», protestierte Susanne. «War er auch», bestätigte Tanja, «aber nicht fähig, dem Druck der hohen Erwartung wirklich standzuhalten. Die 16 Löffel haben ihn fertiggemacht. Das ist eben eine Typfrage. Die einen beflügelt eine hohe Erwartung, die anderen zerbrechen daran. Christian Vogel zum Beispiel, der ist fast daran zerbrochen. Und wir wissen, was die Mitarbeiter von Mainz-Glas erzählt haben, die aus dem Superteam von Vogel ausgeschieden sind. Ich bin mir sicher, einige von denen tragen noch einen Packen Probleme mit sich herum. Einer hat gesagt, es hätte ihm das Leben gerettet, daß er rechtzeitig gegangen ist. Das glaube ich ihm. Vogel war unglaublich begabt, und er sah die Begabungen anderer. Das hat bei einigen seiner Mitarbeiter wunderbar funktioniert, andere hat es zerstört.» «Es gibt eben keine Begabung, die einseitig gut oder schlecht ist», ergänzte Bernhardt, «alles, was wir können, ist uns von Gott geschenkt worden. Was wir daraus machen, liegt in unserer Hand. Es kann sowohl schrecklich als auch schrecklich schön sein.» Zufrieden griff auch er herzhaft in die Packung Pralinen.
    «Aber warum hat Jens den Vogel dann umgebracht, er hätte ihm doch auch einen Vergleich anbieten können oder eine Rückzahlung?» fragte Susanne verzagt. «Das ist eben das Schreckliche», erklärte Tanja, «daran war Vogel nicht mehr interessiert, und das hat ihn das Leben gekostet in dem Moment, als er sein Leben finden wollte. Er hatte genug von diesem Dr.-Faustus-Spiel, er wollte nach Thailand und nur noch mit dem Herzen fühlen. Mainz-Glas, Amuse Gueule , der Schwalbacher Hof, das war ihm plötzlich alles egal. Er wollte einen neuen Anfang machen und dafür genug Geld haben. In Thailand wollte er sich ganz auf sein neues Leben konzentrieren. Das Tragische ist, daß er auf der Spur der Liebe in seinem Leben war und sterben mußte, weil er einem anderen Menschen, nämlich Jens Maistrom, damit das Liebste rauben wollte.» Susanne heulte hemmungslos. «Ja, tut mir leid, aber er liebte den Schwalbacher Hof mehr als dich.» «Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott», ergänzte Urs Bernhardt freundlich. «Und wenn man nicht Gott, sondern ein anderes Ding zum Gott erhebt, dann ist das selten förderlich für die eigene oder fremde Gesundheit.» «Es wäre in der Tat besser gewesen, er hätte dich mehr geliebt als den Schwalbacher Hof», meinte Tanja bedrückt. «Denn dann wäre sinnloses Leid vermieden worden. Aber als Vogel sein Geld zurück wollte, da sah Jens rot. Er spürte ja schon, daß er dem Erwartungsdruck nicht gewachsen war. Nach allem, was wir aus ihm herausbekommen konnten, war es nicht Mord, sondern Totschlag. Er bekam irgendeine Flasche in die Hand und schlug zu. Daß er die Leiche zerteilt hat, war das Ergebnis purer Verzweiflung, er wußte ja nicht, wohin mit Vogel. Und so packte er ihn in Einzelteilen in die Gefriertruhe. Die Hähne, die sollten an dem Abend als coq au vin im Schwalbacher Hof serviert werden. Als er etwas zur Besinnung gekommen war, begriff er, daß von seinem Alibi viel abhängen würde. Er hat dann zuerst das Haus von Vogel durchsucht, um den Schuldschein zu finden und dich dann mit dem Spontanurlaub in Paris überrascht. In der Tat hat dann auch niemand an ihn als Täter gedacht, ich wußte ja, daß ihr in Paris wart. Seine Idee, die Leiche einzufrieren, hat ihm ein perfektes Alibi verschafft, da so der Todeszeitpunkt nicht auf den Tag genau festgestellt werden konnte – zumal du mit ihm unterwegs warst und ich an deiner Aussage keinerlei Zweifel hatte.» Susanne schluchzte erneut auf. Tanja fuhr fort: «Nach eurer Rückkehr aus Paris mußte er die Leiche fortschaffen, auf Dauer konnte sie ja nicht in seiner Gefriertruhe bleiben.» Urs Bernhard kicherte. «Das wäre dann nicht die ewige, son dern die eisige Ruhe.» Tanja schaute ihn strafend an.
    «Bevor er mit den Leichenteilen zum Lennebergwald fuhr, fiel ihm ein Bericht ein, den er kürzlich über Satanisten gelesen hatte. So nagelte er die Hähne und die Hand an die Platanen – du weißt ja, daß sein Auto faktisch ein Werkzeugkasten war.» Susanne kamen bei der Erinnerung an Jens wieder die Tränen. «Das war doch nicht er», klagte sie.
    «Er muß außer sich gewesen sein, wie von Sinnen.» «Wir wissen nie, wer wir sind, wenn wir
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