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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Autoren: Inge Deutschkron
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Schlägen duckte, die Hitler gegen seine Widersacher austeilen ließ. Der Putsch vom 20. Juli 1944 blieb ohne Wirkung auf das Kriegsgeschehen.
    Uns aber traf es tief. Wenn doch der Putsch gelungen wäre! Wie viele Menschen hätten überleben können! Seit dem Frühjahr 1944 trieben die Nazis mit Hilfe ungarischer Faschisten noch 400.000 ungarische Juden in die Gaskammern von Auschwitz. Mehrere tausend Juden von den griechischen Inseln führten die Nazis einem gleichen Schicksal zu. Wie viele junge Menschen aus Ost und West von Europa wären nicht mehr den Wahnideen der Nazis zum Opfer gefallen! Wie viele Werte, die das Erbe Europas ausmachten, wären erhalten geblieben!
    Die Diskussionen unserer ebenso enttäuschten Freunde drehten sich um die Frage, aus welchem Grunde das Ausland dem Putsch vom 20. Juli jegliche Unterstützung versagt hatte. Über ihre Medien ließen diese die Welt wissen, daß ihr unverrückbares Ziel die „bedingungslose Kapitulation“ des Nazireiches sei und bleibe, dessen Macht ein für allemal gebrochen werden müsse.
    Und dies hätte der Putsch einer relativ kleinen Gruppe von Offizieren aus dem Reich der vielen Millionen Deutscher nicht herbeiführen können.
    Wir waren neidisch. Neidisch auf jene Menschen, die in Frankreich nun von der Nazityrannei befreit worden waren. Bis Mitte August hatten die Alliierten die Deutschen schon aus großen Teilen Frankreichs in Richtung Rhein vertrieben. Am 23. August hatten sie in Paris kapitulieren müssen. Wenige Tage später führte Charles de Gaulle einen Triumphzug über die Champs Elysées an. Das Ende der deutschen Besetzung von Paris war für uns wie ein Symbol, das es deutlicher nicht machen konnte: Das Ende der Nazityrannei über Europa würde Wirklichkeit werden.
    Gewiß, der Weg nach Berlin war noch weit, vom Westen wie vom Osten. Und die Nazis hörten nicht auf, dem deutschen Volk den „Endsieg“ als Gewißheit einzuhämmern. Sie verdoppelten ihre Anstrengungen und forderten dies auch von ihrem Volk. Jeder Deutsche, der nicht in einem kriegswichtigen Betrieb beschäftigt und noch tauglich war, mußte an die Front. Frauen mußten ihre Plätze im zivilen Leben einnehmen, etwa bei der Feuerwehr oder in den Rüstungsindustrien. Geschäfte und Büros wurden überprüft. Wer abkömmlich schien, wurde eingezogen.
    „Du mußt hier weg!“ Dr. Ostrowski erklärte mir, daß meine Tätigkeit als Verkäuferin im Papiergeschäft seiner Partnerin zu gefährlich geworden sei, seit nun auch weibliche Arbeitskräfte rekrutiert würden. Ich war verzweifelt und drückte das auch aus. Ich hatte mich zu sicher gefühlt und die Tätigkeit in diesem Papiergeschäft als beste Tarnung angesehen. Hinzu kam, daß ich mit den Kaufleuten aus der Nachbarschaft freundschaftliche Beziehungen angeknüpft hatte. Sie bekamen von mir selten gewordenes Briefpapier, sie brachten mir etwas Butter oder ein paar Äpfel, ohne zu ahnen, wie nötig ich das alles brauchte. Und nun? Dr. Ostrowski bot keine Alternative an. Was mir nun blieb, war, irgendwo spazierenzugehen, um die Zeit totzuschlagen. Eine nicht ungefährliche Aussicht.
    Meine Mutter war in einer ähnlichen Lage. Der Druckereibesitzer Theodor Görner (Rosenthaler Str. 26) hatte meine Mutter unter falschem Namen eingestellt. Er lehnte die Nazis ebenso eindeutig ab wie Otto Weidt. Sie arbeitete in der Setzerei und erhielt den Lohn einer Arbeiterin. Am Anfang eines jeden Monats übergab Görner meiner Mutter Lebensmittelmarken, damit sie am Kantinenessen teilnehmen konnte. Eines Morgens erschien plötzlich die Gestapo in der Druckerei. Vor den Betriebsangehörigen, unter ihnen meine Mutter, erklärten die Beamten, ihr Chef habe sich wie ein Volksfeind benommen. Er habe vor Jahren ein halbjüdisches Kind adoptiert und nun versucht, es in einer höheren Schule anzumelden. Eine solche Handlung grenze an Landesverrat. Es sei auf jeden Fall eine Mißachtung deutscher Rassegesetze. Zur Strafe würde der Betrieb des Görner geschlossen.
    Pünktlich wie jeden Morgen gingen meine Mutter und ich von nun an zusammen anstatt zur Arbeit mit einem Buch in der Tasche in den Park von Sanssouci. Wir konnten an Werktagen nicht in unserer Behausung bleiben, da wir vorgegeben hatten, in Berlin einer Arbeit nachzugehen. Erst am Nachmittag kehrten wir in unseren Ziegenstall zurück. Zuerst genossen wir es, unter den alten Bäumen spazierenzugehen. Außer uns gab es noch einige ältere Leute, die in den schattigen Alleen auf den Bänken saßen
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