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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel
Autoren: Vera Bleibtreu
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Aussage nicht ganz zugetraut hatte. Warum eigentlich nicht?
    Polizisten legten eine Decke über die schwarze Gestalt auf dem Pflaster der Schöfferstraße. Arne führte Susanne zurück in die St. Johanniskirche. Sie warf noch einen Blick zurück auf den, der meinte, über Leben und Tod bestimmen zu dürfen. Zuletzt über sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod. Sie seufzte.
    * * *
    «Er war überall beliebt. Ich glaube, das war ihm viel wichtiger, als wir gedacht haben.» Tanja stand am Fenster von Susannes Wohnung und blickte über die Mainzer Altstadt. «Du hast ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, seiner Eitelkeit. Sicher, wir hätten ihm die Morde nie nachweisen können, aber eine Anschuldigung, vorgebracht aus dem Mund einer Pfarrerin, die hätte man gehört, die wäre nicht einfach so verhallt.»
    Arne nickte. «Die Menschen hätten sich von ihm abgewandt. Offen hätte sich sicher niemand geäußert. Aber ich bin mir sicher: er hätte die Folgen überdeutlich gespürt.»
    Susanne nickte. «Er war sensibel, sonst hätte er auch nicht so vertrauenswürdig wirken können. Und er war jemand, dem es überhaupt nicht gleichgültig war, wie andere von ihm denken.»
    «Du hättest ihm die soziale und familiäre Grundlage entzogen. Denn auch Julias Eltern hätten dir ganz gewiss geglaubt. Und das hat er genau gewusst. Die soziale Isolation hätte er nicht ausgehalten.»
    Susanne sog tief die Luft ein. «So bin ich eurer Ansicht nach schuld an seinem Tod?»
    Arne schüttelte den Kopf. «Verantwortlich ist alleine er. Er hat die Morde begangen, und er ist auf das Dach der Kirche gestiegen. Wahrscheinlich war er schon oben, als wir beide in den Kirchenraum gegangen sind, ich hätte ihn sonst ja entdecken und aufhalten können. Vielleicht hat er sogar überlegt, ob er dich noch in der Kirche töten kann und merkte dann, dass es unmöglich war. Wir werden es nie erfahren. Jedenfalls – schuld an seinem Tod ist alleine er. Du warst mutig. Und tapfer. Ich weiß nicht, ob es dich tröstet – aber ich bin stolz auf dich!»
    Tanja nahm Susanne in den Arm. «Ich auch. Wirst du dir vorwerfen, dass du ihn so in die Enge gedrängt hast?»
    Susanne lächelte. «Nein, das werde ich nicht. So merkwürdig es für euch klingen mag: ich wusste, ich muss es tun, und deshalb war es zwar schwer, aber doch richtig. Wofür ich wirklich dankbar bin, ist, dass ich jetzt der Gemeinde nicht mehr sagen muss, dass ich ihn für den Mörder halte. Das hat er mir abgenommen. Ich werde morgen eine ganz normale Predigt über den Bibeltext des Sonntags halten und kein Wort über Julias Mörder sagen. Ihr Tod soll nicht noch mehr ausgeschlachtet werden, und ihre Eltern brauchen Ruhe. Allerdings sollten wir Julias Eltern informieren. Sie haben es verdient, die Wahrheit zu wissen.»
    Tanja schaute ihre Freundin an. «Das machen wir. Aber jetzt hast du schon wieder nur an andere gedacht. Was planst du für dich?»
    Susanne lächelte. «Morgen halte ich den Gottesdienst, mit dem Gebet für Julia. Und Montag, da werde ich mir eine Woche Urlaub nehmen. Ich habe den Dekan schon angerufen, ich kann fahren. Pfarrerin Dr. Daubmann vertritt mich in der Gemeinde. Sie macht das bestimmt gut, da kann ich beruhigt eine Auszeit nehmen. Am liebsten wäre mir eine Woche in Rom.»
    «Gute Idee», bestätigte Arne. «ich habe dir doch von diesem italienischen Kollegen erzählt, seine Restauranttipps, die solltest du unbedingt beherzigen. Bustamante heißt der Mensch, ein hohes Tier bei der Kripo in Rom, sieht zwar nicht so aus, aber hat wirklich was drauf. Ich rufe ihn an, er soll sich ein bisschen um dich kümmern.»
    Arne warf einen kurzen Blick auf Tanja. «Vielleicht bekomme ich ja auch ein paar Tage Urlaub, wenn Frau KlaasSelter sich erbarmt.» Und zu Susanne gewandt: «Was meinst du, hättest du Spaß, wenn ich mitkomme? Ich nehme auch ganz gesittet ein Einzelzimmer neben dir.»
    Susanne lächelte. «Das ist, mein lieber Freund, das beste Angebot des Tages.»
    * * *
    Susanne, Arne und Tanja saßen in der hinteren Reihe, als der Trauergottesdienst für Michael Berger gefeiert wurde. Es war eine kleine Feier, die wenigen Menschen verloren sich fast in der Halle des Krematoriums. Susanne hatte sich nicht in der Lage gesehen, diese Trauerfeier zu übernehmen. Das wäre, sie wusste es, über ihre Kraft gegangen. Sie war sehr froh, dass sich ihr Kollege Zimmermann bereiterklärt hatte, ihr diese Aufgabe abzunehmen. Wahrscheinlich musste man ein so sonniges
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