Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz

Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz

Titel: Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
Autoren: Christine Westendorf
Vom Netzwerk:
Max schlafen gegangen war, ungestört nachsehen können, ob Cornelius ihr geantwortet hatte.
    Es war bereits kurz vor elf Uhr nachts, als Amanda ihren Computer wieder einschaltete. Noch einmal las sie ihre zuletzt gesendete Mail, anschließend Cornelius’ Antwort.
    Charmanter Versuch, liebe Helena, aber so geht das nicht. Schließlich habe ich Dich zuerst etwas gefragt. Bevor Du mir nicht ein bisschen mehr von Dir erzählt hast, wird es keine Bilder von mir geben. Weder von meinem Gesicht noch von meinem Bauch. Und von meinen schönen Füßen schon gar nicht.
    Erwartungsfroh,
    Cornelius.
    Beharrlich, dachte Amanda. Nur, was sollte sie um Himmels willen auf seine Frage antworten? Wenn sie die Wahrheit sagte, nämlich, dass sie »nur« Hausfrau und Mutter war, würde ihr ein Mann wie Cornelius bestimmt sofort wieder von der Angel gehen. Doch bevor sie mehr von sich verriet, musste sie zuerst einmal sehen, mit wem sie es zu tun hatte…
     
    Daher schrieb sie:
    In Ordnung, Cornelius, Du hast gewonnen. Also, ich sitze den ganzen Tag träge in meinem Zimmer herum und schreibe Mails an fremde Männer in der Hoffnung, dass mal einer hängen bleibt. Nee, im Ernst, das ist wirklich eine schwierige Frage und mir im Moment zu persönlich. Aber es würde mir bestimmt helfen, mich zu öffnen, wenn Du Dich zeigst.
    Ebenso erwartungsfroh,
    Helena.
    Lächelnd klappte Amanda ihren Laptop zu, doch als sie kurz darauf unschlüssig vor der Tür ihres Schlafzimmers stand, hatte die Wirklichkeit sie bereits wieder eingeholt. Wie gern hätte sie jetzt ihr Bett zur Not sogar mit einem Fuchsschwanz geteilt, um nur einmal ohne Max schlafen zu können. Amanda überlegte kurz, sich unten im Wohnzimmer aufs Sofa zu legen, doch möglicherweise würde Max ein solches Verhalten als Kampfansage betrachten und ihr das Leben zukünftig noch schwerer machen. Also legte sie sich wie immer neben Max ins Bett, der wie gewohnt schnarchte, und zog sich die Bettdecke
über beide Ohren. Früher war es ihr meist noch gelungen, neben ihm einzuschlafen. Aber nun war es ihr schon seit längerem unmöglich geworden. Genauer gesagt, seit jenem entsetzlichen Abend Anfang Dezember, an dem Amanda zum letzten Mal versucht hatte, zu ihrem Mann durchzudringen.
     
    Es war am sechsten Dezember gewesen, am Nikolaustag. Amanda hatte mit Max einen amerikanischen Weihnachtsfilm mit einem dickbäuchigen, rotwangigen Santa Claus angesehen, der fortwährend in alberne Verwicklungen geriet. An diesem Abend war Amanda richtig fröhlich, man könnte sogar sagen, zuversichtlich gewesen, auch was ihre Beziehung zu Max anging.
    Während sie sich unruhig von einer Seite auf die andere drehte, versuchte Amanda, sich noch einmal daran zu erinnern, wie der genaue Wortlaut des Gespräches gewesen war, das für sie alles verändert hatte.
    Amanda hatte Max’ Hand genommen und mit sanfter Stimme gefragt: »Max, erinnerst du dich noch daran, was heute vor fünfzehn Jahren gewesen ist?«
    »Ja, Nikolaus.«
    »Heute vor fünfzehn Jahren haben wir zum ersten Mal miteinander geschlafen.«
    Max hatte daraufhin die Augen verdreht und ihr seine Hand entzogen: »Bitte verschone mich doch mit diesem sentimentalen Scheiß!«
    »Nein, bitte, sag mir doch, was du empfindest, wenn du an die vergangenen fünfzehn Jahre denkst!«
    »Ich empfinde gar nichts dabei. Und jetzt lass uns weiter in Ruhe den Film ansehen.«

    Damit Max ihre Tränen nicht sehen konnte, war Amanda schnell aufgestanden und nach draußen in den Garten gegangen, denn ihr selbst war der Nikolausabend von vor fünfzehn Jahren bis heute nicht aus dem Sinn gegangen. Es war die Nacht gewesen, in der sie sich in Max verliebt hatte. Er war ihr so stark vorgekommen, so Vertrauen erweckend. Ein Mann zum Anlehnen. Schon damals hatte er nicht viele Worte gemacht, aber Amanda hatte seine Wortkargheit geheimnisvoll gefunden. Wie oft hatte sie von dem herrlichen Moment geträumt, in dem Max sie zu seiner Vertrauten machen würde. Amanda war damals dazu bereit gewesen, sich ihm ganz zu öffnen und ihm alles über sich zu erzählen. Tatsächlich hatte sie bis heute fast alle ihre Geheimnisse preisgegeben, im Gegenzug dafür aber kein einziges von Max erfahren. Ja, ihre Ehe mit Max war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, denn was sollte sie schon mit einem Mann anfangen, der nichts »dabei« empfand? Amanda schaltete ihre Nachttischlampe an und dämmte deren Lichtschein mit einem Seidenschal. Es war wirklich unumgänglich, dass sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher