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Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod

Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod

Titel: Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
Autoren: Tami Hoag
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ihr klar, dass seine Seele im Bruchteil einer Sekunde um tausend Jahre gealtert war. Es tat ihr so leid für ihn und für sich selbst, so leid, dass es ihr beinahe das Herz brach.
    »Du bist ein guter Junge«, flüsterte sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Du musst jetzt ganz stark sein. Ich wünschte, ich könnte dafür sorgen, dass es nicht so schwer für dich wird, Tommy.«
    »Ich komm schon klar«, sagte er, so als müsse er sie beruhigen.
    Anne nickte, sie wusste, dass er sich irrte. Er würde nicht damit klarkommen. Und sie konnte nichts daran ändern.
    Sie berührte seine Wange so zart, als würde sie einen Engel berühren. »Du bist mein Held, weißt du«, sagte sie, und jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen.
    Anne drückte ihn an sich, und er hielt sie fest. Dann trockneten beide ihre Augen, und sie nahm ihn an der Hand, und zusammen gingen sie den Bürgersteig entlang.

    Als sie durch die Tür traten, änderte sich schlagartig alles.
    Leute drängten sich um sie, sie meinten es gut, sie wollten Erklärungen, eine Aussage, Antworten. Immer mehr Leute kamen, und Anne musste zusehen, wie Tommy von ihr fortgerissen wurde. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich seine Mutter auf und stürzte sich auf ihn, hysterisch, besitzergreifend.
    Einen kurzen Moment trafen sich Tommys und Annes Blicke, und sie wusste genau, was er empfand - ein Gefühl, als würde er fallen, nachdem unter ihm das Netz weggezogen worden war. Er hatte niemanden. Und niemand hatte ihn.
    Anne drehte sich zu Vince. Sie zog die Halskette aus der Tasche ihrer zerrissenen, verdreckten Hose und drückte sie ihm in die Hand, dann sank sie in seine Arme, kraftlos, willenlos. Er hielt sie fest und sagte ihr, dass alles wieder gut werden würde, aber sie presste nur ihr Ohr an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. In diesem Moment war alles andere nur Hintergrundgeräusch.
    Sie schloss die Augen und verlor das Bewusstsein. Das letzte Bild, das sie sah, war Tommy, der allein in einem kleinen roten Boot stand, die Hand aufs Herz gelegt, während er aus ihrem Blickfeld trieb, bis nur noch eine schwache Erinnerung an sein trauriges kleines Lächeln zurückblieb.

93
    Anne kam wieder zu sich, als aus dem Krankenhausflur leise Stimmen zu ihr drangen.
    »… gebrochene Rippen … Lungenkollaps …«
    »… o Gott … wir können von Glück reden, dass sie nicht t-o-t ist …«

    »Ich kann buchstabieren.«
    Ihre Stimme war rau und trocken und trug nicht sehr weit, aber sie trug weit genug.
    »Du bist wieder da«, sagte Vince mit einem sanften Lächeln, als er an ihr Bett trat.
    »Oh, Anne!«, rief Franny mit verzweifeltem Gesichtsausdruck. »Du siehst ja aus wie ein Waschbär!«
    Anne hob mit der Fernbedienung das Kopfteil ihres Bettes an und erhaschte in dem kleinen Spiegel an der Wand gegenüber einen Blick auf sich. Zwei blaue Augen. Eine geschwollene Lippe. Stiche am Kinn. Jeder Waschbär wäre beleidigt gewesen über diesen Vergleich.
    »Hey«, widersprach Vince, »Sie sollten erst mal den anderen sehen. Sie mussten ihn mit dem Hubschrauber nach L. A. bringen. Die junge Frau hier hat ein paar ganz hübsche Treffer gelandet. Sie hat ihm sogar mit einem Kreuzschlüssel ein Auge ausgeschlagen!«, verkündete er stolz.
    Franny sah schockiert aus. »Ogottogott!«
    »Er hat einen Schädelbruch, seine Nase ist gebrochen …«
    »Wer bist du?«, fragte Franny sie, als wäre sie von einem fremdartigen Wesen besessen und nicht die, die er zu kennen glaubte.
    »Ich bin am Leben«, antwortete sie schlicht.
    »Ach, Liebes«, erwiderte er leise, »ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    »Den Tag muss ich in meinem Kalender rot anstreichen«, erwiderte Anne trocken.
    »Ich würde dich ja gerne umarmen, aber ich habe Angst, dass du mir wehtust. Erst wollte ich ja das Umgekehrte sagen, aber angesichts des Umstandes, dass du einem Mann mit einem Kreuzschlüssel den Schädel eingeschlagen hast …«
    Anne versuchte zu lächeln. Ihr tat alles weh. Ihre Rippen
taten weh, ihr Kopf tat weh, ihre Lunge tat weh. Sie fühlte sich, als wäre ein Lastwagen über sie drübergefahren.
    »Mein Zahnarzt«, sagte Franny, als begriffe er erst jetzt. »Ein Serienmörder hat seine Hände in meinem Mund gehabt!«
    Anne sah Vince an. »Hat er gestanden?«
    Er schüttelte den Kopf. »Er hat sich einen Anwalt genommen. Wir kommen nicht mehr an ihn ran.«
    »Aber das hier ist sein Werk«, sagte Franny mit vor Empörung bebender Stimme und deutete auf Anne. »Und wenn
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