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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Gäste zu kümmern, solange Mechthild im Kindbett lag. Mechthild hat keine Mutter und keine Schwestern mehr, und so ist Ursula ihre nächste weibliche Verwandte.
    »Ich hoffe, ihr habt eine angenehme Reise nach Sponheim«, bemüht sich Mechthild nach ihrem ersten fehlgeschlagenen Versuch um Freundlichkeit. Ursula nickt nur und gibt dem Kutscher Order, den Wagen zu beladen.
    »Wo ist mein Bruder?«, fragt Ursula und späht hinüber zum Haus.
    »Er ist auf dem Weg«, antwortet Mechthild und blickt in dieselbe Richtung. Sie muss sich beeilen, bevor Hildebert kommt, aber sie will nicht einfach so mit ihrer Frage herausplatzen und damit preisgeben, dass sie nicht sehr oft mit ihrem Mann über wichtige Angelegenheiten spricht.
    »Hat er dir von den Klosterplänen erzählt?«, fragt sie daher wohlüberlegt und richtet sich auf.
    »Ja, ja«, antwortet Ursula schnell. Mit den Augen verfolgt sie die spielenden Kinder und gibt Kristin mit einer Handbewegung ein Zeichen, innezuhalten.
    Mechthild fühlt Erleichterung in sich aufbrausen, die aber erstirbt, als Ursula fortfährt.
    »In einem Jahr, wenn ich richtig verstanden habe, nicht wahr?«
    Eine Leere überkommt Mechthild. In einem Jahr? Soll Hildegard in einem Jahr ins Kloster? Dann kommt sie zu sich. Ursula spricht von Roricus, natürlich, wie konnte sie nur so dumm sein.
    »Ja«, sagt sie und lächelt angestrengt, »Roricus soll nächsten Sommer im Sankt Alban-Kloster in Mainz aufgenommen werden, so Gott will.«
    »Das wird er sicher wollen«, entgegnet Ursula brüsk, fährt aber gleich beschwichtigend fort: »Roricus ist ja tüchtig, wie ich höre, er wird es weit bringen.«
    Mechthild nimmt das Lob der Schwägerin mit einem Lächeln entgegen, gibt aber nicht auf, eine Antwort auf ihre eigentliche Frage zu bekommen.
    »Und Hildegard«, beginnt sie, bricht aber sogleich wieder ab, als sie Hildeberts Schritte hinter sich hört.
    »Ja?«, sagt Ursula und sieht geradewegs an Mechthild vorbei, »ja, wir beten dafür, sie möge stärker werden.«
 
    Als der Wagen zum Tor hinausfährt, bleiben sie auf dem Hofplatz stehen und sehen ihm nach. Hugo läuft auf seinen kurzen krummen Beinchen hinterher, stolpert, fällt, schreit, und Benedikta hebt ihn auf. Die unbeantwortete Frage nagt an Mechthild. Hat Ursula sie nur missverstanden, oder kennt ihre Schwägerin das Versprechen nicht? Es wird viel Zeit vergehen, bis sie Ursula wiedersieht, und während des feierlichen Hochamts in Mainz wird es unmöglich sein, unter vier Augen miteinander zu sprechen. Obwohl Mechthild sich darüber im Klaren ist, dass ein Versprechen, ein Kind der Kirche zu geben, keine endgültige Verpflichtung ist, wird es doch für das Gewissen schwerer zu ertragen sein, ein Versprechen gegenüber einem Priester zu brechen. Und selbst Hildebert hat ein Gewissen, so viel weißsie. Sicher gehört er nicht zu den zartfühlendsten Ehemännern, aber er hat bei allen in der Gegend den Ruf, gerecht zu urteilen.
    Hildebert steht ein paar Meter von seiner Frau entfernt, er hebt die Hand zum Abschiedsgruß und lässt sie erst wieder sinken, als er den Wagen durch das offene Tor nicht mehr sehen kann. Hugo heult immer noch, Blut sickert aus den aufgeschlagenen Knien unter seinem Wams hervor. Er streckt die Arme nach Estrid aus, die herbeigelaufen kommt. Hildebert schnalzt ein paar Mal laut mit der Zunge, um den Jungen aufzumuntern, aber er schreit weiter und vergräbt den Kopf in Estrids Schulter. Mechthild stiert noch immer auf die Stelle, wo der Wagen eben noch gestanden hat. Dann pufft sie Clementia verärgert in die Seite, die ihre Mutter gehorsam zurück in die Kammer und zu Hildegard führt.
 

 

6
      
Die Ruhe, die das Kleine empfand, als Agnes ihre Beine zusammen- und die Arme eng an den Körper band, verwandelt sich in Angst. Sie kämpft gegen die fummelnden Bewegungen, wirft sich zurück und schreit zum Steinerweichen, wenn Agnes sie mit festem Griff quer über das Tuch auf dem breiten Bett legt und zu wickeln beginnt.
 
    Versteht das Kind, dass der Laut von ihm selbst stammt? Will sie mit ihrem Gebrüll die Welt zerreißen? Agnes' Gesicht bricht ganz plötzlich auf, ihre Stimme steckt einen Pfropfen in den Mund des Kindes. Siehst du, sagt Agnes, als das Kind sich nicht bewegen kann, siehst du, es hat doch geholfen, jetzt weinst du nichtmehr . Auf den Arm, durch das Zimmer, den Kopf hoch gestreckt, der Hals knackt, den Kopf wieder nach vorne und zur Seite gedreht.
 
    Das Kind kennt viele Gesichter, aber noch
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