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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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Bürgerrecht gekauft haben.
    Aber unbekümmert um diese kleinen Dinge geht jeden Morgen die Sonne auf, und die Vögel in den unendlichen Kastanienwäldern fangen zu singen an. Ich stecke mir ein Stück Brot in die Tasche und ein Buch und einen Bleistift und die Badehose und verlasse mein Dorf, um einen langen Sommertag im Wald und See zu Gast zu sein. Der Wald hat abgeblüht und hängt schon voll kleiner stachliger Früchte, die Heidelbeeren sind schon vorüber, und die Brombeeren fangen an, deren die Welt hier voll ist.
    Viele liebe kleine Blumen, Gräser, Moose und Pilze begegnen mir wieder, die ich nicht kenne und deren Namen kennenzulernen ich mir immer und immer wieder vorgenommen habe. Mit einem kleinen guten Botanikbuch in Ruhe mich unter diese lieben Blumen zu setzen und sie zu studieren, das ist ein Entschluß von mir, ähnlich wie der Vorsatz, später einmal still in einem kleinen Garten zu leben, Gemüse zu bauen und nie mehr über meinen Gartenzaun hinweg zu denken. Sie sind schön, diese Vorsätze, und machen uns Freude, aber um sie einzuhalten, ist das Leben, wie es scheint, zu kurz. Jedenfalls der Sommer. In diesem Süden hier, wo man mehrere Monate des Jahres tatsächlich nicht an Frieren und Kohlen zu denken braucht, fliehen diese unglaublichen, goldenen Sommertage hin mit einer Fieberhast, mit einem kurzen, gierigen Flügelschlag, als wittre auch Sonne, Stern und Mond etwas von Untergang und Weltnot und eile sich, noch einmal sich umzudrehen. So tun auch wir, wir armen Menschen, und singen unser Lied und tanzen unsern Tanz mit in dieser raschen, vergänglichen Glut. Tief in den Wäldern schön und geheimnisvoll liegen unsre Schatzkammern, die kühlen kleinen Weinkeller der Bauern, wo am Feiertag und etwa auch am Abend bei der Boccia-Bahn freundliche Menschen ein Glas Landwein trinken, ein Stück Brot essen und miteinander plaudern. Hier verglühen mir manche warme, stille, nachdenkliche Abende voll Torheit und Sommerduft, voll Wehmut und Einsamkeit, voll Gedanken und Kinderei.
    Im Waldschatten, nach der Mittagsrast, im Heidelbeerkraut und den Spiräen liege ich lang, singe die Lieder, die ich weiß, die deutschen und die welschen, und lese zwischenein in einem kleinen schwarzen Buch, das ich mithabe und das für den Augenblick für mich das schönste Buch der ganzen Weltist. Es heißt »Almaide« und ist geschrieben von dem Franzosen Francis Jammes. Ein Buch aus Arkadien, selig und voller Liebe.
    Gegen den Abend aber wird es Zeit, irgendwo den See aufzusuchen, ein Stück Sandstrand mit Gehölz dahinter, etwas Schilf und etwas Gras. Der See leckt mit warmer Zunge am abendlich verglühenden Sand, die Angler stehn mit langen Ruten träumerisch auf dünnen Waden in den Bachmündungen, die Berge nehmen abendliche Färbungen an, der goldene Abendzauber geht über die Welt, und das Weh im Herzen wird für Stunden süß und wohlschmeckend. Auf den braunen Rücken brennt mir die Sonne, bis sie hinter einem der vielen, allzu vielen Berge vergeht, den hungrigen Leib kühlt mir der gute See, die Füße der Bach. Wie viel hätte man zu wünschen und doch eigentlich nichts. Wie traurig ist uns das Leben geworden – und wie dumm sind wir, wenn wir es so traurig nehmen!
    Im Dorf ein Teller Reis oder Makkaroni oder im Grotto ein Stück Brot mit Wein, dann wird es Zeit, sich zu besinnen, wo man ist, und langsam den Heimweg über die hellen nachleuchtenden Landstraßen einzuschlagen, die Fußwege bergauf durch den dunkelnden Wald, in dem die eingefangene Wärme des Tages wie Honig hängt, schwer und berauschend, die Wiesenwege an schon geschnittenem Korn und dickhängenden grünen Trauben vorbei, an den Gärten der Landhäuser hin, wo die reichen Milanesen wohnen und wo im aufgehenden Mond die vielen Hortensienbüsche zauberhaft inbleichen holden Farben scheinen. Man kommt in sein Dorf zurück, es ist fast Mitternacht, der Mond sieht aus den streifigen Wolken her, die großen Sommermagnolien in den schwarzen hohen Bäumen riechen heftig nach Zitronen, unten am See glitzern die Lichter der Dörfer.
    Der Mond läuft und läuft am Himmel, wie gehetzt, wie das Werk einer Uhr, die man wieder zum Gehen bringen wollte und in die man mit einer Stricknadel gestochen hat, es läuft dann auf einmal rasselnd ab, und der Zeiger rennt besessen übers Blatt wie ein Schnelläufer. Das Leben ist kurz, und wir haben es uns mit vieler Mühe, mit vielen Schlauheiten, mit vielem Aufwand verdorben und schwergemacht. Die paar guten Zeiten,
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