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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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Verhalten.‹ Vor allen hatte sie Angst, diese Frau, nur vor mir nicht. Dauernd hat sie mich in aller Öffentlichkeit›Scheißefresser‹ genannt. Dauernd habe ich eins mit der Bratpfanne auf den Kopf bekommen.« Er sah zum Küchenschrank hinüber, einst Heimstatt der Bratpfanne. »Aber jetzt trage ich die Verantwortung für dich,
popka
. Und du tust, was ich sage. So ist das als Mann. Man tut, was der Vater sagt.«
    Inzwischen zitterten meine Hände im selben Rhythmus wie die Papas, und wir schwitzten beide so sehr, dass der Dampf in unsichtbaren weißen Wolken von unseren fettigen Köpfen aufstieg. Ich versuchte, mich ganz auf Vaterliebe und Sohnespflicht zu konzentrieren, aber eine Frage blieb. »Was sind Chassidim?«, sagte ich.
    »Es gibt keine besseren Juden«, sagte Papa. »Sie studieren und beten den ganzen Tag.«
    »Warum wirst du dann kein Chassid?«, fragte ich ihn.
    »Ich muss heute hart arbeiten«, sagte Papa. »Ich muss viel Geld verdienen, damit ich ganz sicher bin, dass dir niemand wehtun kann. Denn du bist mein Leben. Ohne dich würde ich mir meine Kehle von einem Ohr zum anderen aufschlitzen. Und ich bitte dich doch nur um den kleinen Gefallen, dich von den Chassidim stutzen zu lassen, Mischka. Willst du das denn nicht für mich tun? Als du noch klein und dünn warst, habe ich dich so geliebt …«
    Ich spürte wieder, wie mein kleiner Körper an seinem aufgehoben war, wie seine weisen braunen Adleraugen mich auffraßen, wie die wolligen Stoppeln seines Schnurrbarts meinen Wangen einen männlichen Ausschlag schenkten, den ich tagelang in Ehren hielt. Es gibt Witzbolde, die sagen, Männer sehnten sich ihr ganzes Leben lang zurück in den Mutterschoß, aber ich gehöre nicht zu diesen Männern. Das Kitzeln von Papas tiefem Wodka-Atem an meinem Nacken, seine hartnäckigen haarigen Arme, die mich an seine teppichweiche Brust pressen, der Tiergeruch von Überlebenskampf und Verfall –
das
ist mein Mutterschoß.
     
     
    Und so fand ich mich einen Monat später in einer Mietdroschke, die durch ein schrecklich heruntergekommenes Viertel von Brooklyn rauschte. In der Sowjetunion hatte man uns gesagt, dass Menschen afrikanischer Abstammung – Neger und Negeretten hatten wir siegenannt – unsere Brüder und Schwestern waren, aber den sowjetischen Juden, die damals neu ins Land kamen, schienen sie so fürchterlich wie Kosakenhorden, die über die Ebenen stürmten. Ich dagegen verliebte mich auf den ersten Blick in das bunte Völkchen. Der Anblick der unterbeschäftigten Männer und Frauen, aufgestellt vor endlosen Reihen bröckelnder Veranden und verwahrloster Vorgärten, hatte etwas Verfluchtes, Verruchtes, geradezu Sowjetisches – wie meine sowjetischen Landsleute schienen sie ihre Niederlage zum Lebensstil erhoben zu haben. Der Oblomow in mir war schon immer von Menschen fasziniert, die fast so weit waren, ihr Leben aufzugeben, und das Brooklyn des Jahres 1990 war ein einziges oblomoweskes Paradies. Um gar nicht von den jungen Mädchen zu reden, schon so groß und dick wie Baobab-Bäume, die Brüste geformt wie perfekte Flaschenkürbisse, die sie würdevoll die Straße hinabtrugen; die schönsten Wesen, die ich im Leben gesehen hatte.
    Langsam machte das Schwarzenviertel einem Latinoviertel Platz, genauso zerzaust, aber angenehm vom Geruch gerösteten Knoblauchs erfüllt, und das wiederum machte Platz für das gelobte Land meiner jüdischen Glaubensbrüder – Männer, die auf dem Kopf ganze Eichhörnchennester über die Straßen trugen, deren Koteletten im Frühsommerwind flatterten und unter deren samtigen Mänteln kostbarer Sommer-Muff wohnte. Ich sah sechs winzige Jungen, vielleicht zwischen drei und acht Jahren, denen ihre blonden, ungeschnittenen Locken die Anmutung kleiner Rockstars gaben, um eine todmüde, pinguinartige Frau herumlaufen, die hinter einem Schirm aus Einkaufstüten die Straße hinunterwackelte.
Was war das bitte für eine Jüdin mit sechs Kindern?
In Russland hatte man eins, zwei, vielleicht drei, wenn einem die dauernden Abtreibungen zu viel wurden und man sehr, sehr promisk lebte.
    Das Taxi hielt vor einem alten, aber ehrwürdigen Haus, das sich mit seinem ganzen Gewicht sichtbar in die Stützpfeiler lehnte wie ein älterer Mitbürger in seine Gehhilfe. Ein angenehmer junger Chassid mit intelligentem Gesichtsausdruck (ich ergreife immer Partei für Menschen, die halb blind aussehen) hieß mich mit einem Handschlag willkommen, und nachdem er festgestellt hatte, dass ich weder
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