Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieben Jahre

Sieben Jahre

Titel: Sieben Jahre
Autoren: Peter Stamm
Vom Netzwerk:
dem Reichtum seiner Familie, aber man spürte ihn in der nachlässigen Art, mit der er mit Menschen und mit Dingen umging. Damals beeindruckte mich das, später tat er mir leid deswegen.
    Als ich ankam, stand die Sonne schon tief, und Rüdiger war dabei, Wachsfackeln anzuzünden, die überall im Garten in der Erde steckten. Er begrüßte mich jovial. Lange nicht gesehen, sagte er und klopfte mir auf die Schultern. Er wirkte ganz entspannt, obwohl er als Einziger von uns nicht durch die Prüfung gekommen war. Auf dem Rasen zwischen dem Haus und dem See stand ein langer, weiß gedeckter Tisch, aber die Gäste waren alle unten am Ufer, einige noch im Wasser. Wenn du baden willst, musst du dich beeilen, sagte Rüdiger, ich werfe schon mal den Grill an. Er ließ mich stehen, und ich schaute hinunter zu den anderen. Ich hatte die Sonne im Rücken, und über allem lag ein dunkler Glanz. Die Szene überwältigte mich in ihrer zeitlosen Beschaulichkeit. Jemand spielte tatsächlich Gitarre, und wenn es nicht so schön gewesen wäre, wäre es mir lächerlich vorgekommen. Ich schlenderte hinunter ans Ufer und wurde mit Gejohle begrüßt. Sonja lag im Gras auf einer Decke, sie streckte mir die Hand entgegen, und ich half ihr auf. Sie trug einen weißen Badeanzug und darüber ein hellblaues, offenes Männerhemd. Sie umarmte mich und küsste mich auf die Wangen, vertraulicher als sonst, schien mir. Die Hand immer noch auf meiner Schulter, flüsterte sie mir ins Ohr, schau, und zeigte mit dem Kopf in eine Richtung. Jetzt erst sah ich Alice, die im Gras lag, den Kopf auf Ferdis Bauch. Er spielte mit dem Träger ihres Bikinioberteils.
    Die beiden?, flüsterte ich. Tut es weh?, fragte Sonja und nahm mich bei der Hand. Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang. Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte. Es schmerzte überhaupt nicht, Alice mit Ferdi zusammen zu sehen, im Gegenteil, ich war froh, dass sie wieder jemanden hatte. Auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass Ferdi der Richtige war für sie. Ich hatte Angst gehabt, Alice zu begegnen, hatte mich vor ihrer Trauermine gefürchtet und vor ihren vorwurfsvollen Blicken. Jetzt war ich erleichtert. Ich spazierte mit Sonja durch den Garten, und sie erzählte mir, wie Ferdi und Alice zusammengekommen waren. Rüdiger habe seine Hände im Spiel gehabt, der alte Kuppler. Dich hat er ja auch mit ihr zusammengebracht. Das ist mir gar nicht aufgefallen, sagte ich. Jedenfalls bin ich froh, dass sie nicht mehr alleine ist. Ich auch, sagte Sonja und hakte sich bei mir ein. Jetzt müssen wir nur für dich noch jemanden finden. Und für dich, sagte ich. Sonja lachte und schüttelte den Kopf. Ich habe keine Zeit für solche Sachen. Ich sagte, ich glaubte ihr kein Wort, und sie lachte wieder und senkte den Kopf, als habe sie im Gras etwas entdeckt. Geht es dir gut?, fragte sie. Ja, sagte ich, ich glaube schon.
    Rüdiger kam mit einer riesigen Platte Fleisch aus dem Haus, gefolgt von seiner Mutter, die einen Korb mit Brötchen trug. Sonja lief zu ihnen hin und fragte, ob sie helfen könne, und die drei verschwanden im Haus. Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit Iwona hier zu sein. Sie würde verstockt herumsitzen und kein Wort sagen oder nur Dummheiten wie damals im Englischen Garten. Ich würde mich schämen mit ihr, das war sicher. Selbst die Vorstellung, allein mit ihr am See zu sein, hatte nichts Verlockendes. Iwona langweilte mich, wir hatten einander nichts zu sagen. Nur im Bett war ich gern mit ihr zusammen, wenn sie dalag, weich und schwer in ihren hässlichen Kleidern und ich mich ganz frei fühlte und ungehemmt.
    Das Büfett war aufgebaut. Rüdigers Mutter war davor stehen geblieben. Sie hielt eine Hand über die Augen und schaute gegen die Sonne in meine Richtung. Sie winkte mir zu, und ich ging zu ihr, und sie begrüßte mich mit einem angedeuteten Kuss auf die Wange. Schön, dass Sie noch gekommen sind, sagte sie. Ich habe Sie vermisst.
    Ich kannte sie nur flüchtig, aber schon das letzte Mal, als ich hier gewesen war, war mir ihre Herzlichkeit aufgefallen und ihre Unbeschwertheit. Keine Angst, sagte sie, ich verschwinde gleich. Iss doch mit uns, Mama, sagte Rüdiger. Sie lachte und schüttelte den Kopf. Ich werde früh ins Bett gehen. Ich wollte nur noch diesem jungen Mann hier guten Abend sagen.
    Sie stellte mir ein paar Fragen zu meiner Diplomarbeit und hörte aufmerksam zu, als ich von meinem neuen Anlauf sprach, und machte ein paar Bemerkungen, die mir sehr gescheit vorkamen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher