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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nannte Iwanow einen verhurten Dreckskerl, zertrümmerte einen Kwasskrug, den Wanda vor kurzem Fjedor Pantelijewitsch geschenkt hatte, zerstampfte die Scherben und drohte, die Weiber in ein Irrenhaus schaffen zu lassen. War er aber allein, draußen in seinem Stahlwerk, stand er oft an der Walzstraße, starrte in die Glut des Metalls, wußte auf alle Fragen keine Erklärung mehr und schüttelte hilflos den Kopf.
    Er hatte Iwanow geliebt wie einen Sohn. Nur gesagt hatte er es nie. Haller war kein Mensch, der seine Seele auf der Zunge trägt.
    Der Krieg war gewonnen – oder verloren. Es kam darauf an, von welcher Seite man es sah. Die Siegesfeiern in Moskau dauerten eine Woche. Ein in der Geschichte einmaliges Feuerwerk erhellte Moskaus Himmel mit schimmernden Kaskaden. Die eroberten deutschen Fahnen und Standarten wurden zu einem großen Haufen getürmt; eine Parade nie gesehenen Ausmaßes hallte über den Roten Platz. Auf der Tribüne der Kremlmauer stand Stalin, umgeben von seinen engsten Vertrauten und den ordenschimmernden Generälen, deren Namen jeder kannte und ehrfürchtiger aussprach als einst die Namen der Heiligen. Er hob die Hand halb hoch, winkte, lächelte, schon im Leben eines der Denkmäler, das stehen wird, solange es ein Geschichtsbewußtsein gibt, drückte seinen Marschällen die Hände und rührte Zehntausende, die es sahen, zu Tränen.
    An diesem Tag waren Boranow und Lyra Pawlowna allein. Pawel Ignatiewitsch Sharenkow und seine Frau Marja Iwanowna waren einer Einladung gefolgt. Man hatte Sharenkow zwar nicht seinen gigantischen Triumphbogen bauen lassen, ihn jedoch zum Abteilungsleiter befördert. Er befehligte jetzt die Planungen für eine neue Kanalisation – eine ehrenvolle Aufgabe, wenn sie auch mit seinen phantastischen Bauplänen wenig gemein hatte.
    Der Genosse Hauptabteilungsleiter hatte zur Siegesfeier eingeladen, und so ließ man Lyra mit Kyrill allein. Sie heirateten ohnedies in ein paar Wochen; der sittenstrenge Sharenkow hatte zugeben müssen, daß Liebe vor dem Trauschein auch schon zu seiner Zeit genossen worden war. Marja Iwanowna erinnerte ihn zartfühlend daran, und Pawlow bekam in der Erinnerung blanke Augen.
    »Ich muß dir etwas gestehen«, sagte Boranow. Er saß mit Lyra auf dem Sofa, sie hatten sich geküßt, und Lyra hatte die Bluse ausgezogen und sich gedehnt und den Leib gespannt wie eine stählerne Feder, als Boranow sie streichelte.
    »Warum redest du jetzt?« sagte sie mit halber Stimme. »Heißt immer, wir Frauen schwatzen zuviel. Aber ihr Männer?! Ruhelos wie die Krähen …«
    »Es ist nötig.« Boranow zog seinen linken Schuh aus. Er drehte am Absatz, schwenkte ihn zur Seite und hielt Lyra den Schuh hin. »Das ist ein Funkgerät«, sagte er. »Eine amerikanische Erfindung. Ich brauche es jetzt nicht mehr. Der Krieg ist vorbei. Lyraschka, ich bin ein Deutscher. Ich bin ein deutscher Offizier. Ich heiße Asgard Kuehenberg …«
    Sie sah ihn an mit weiten, glänzenden Augen, dehnte ihren nackten Oberkörper, räkelte sich zu ihm hin und schlang den Arm um seine Hüfte.
    »Was redest du da, Kyrill?« sagte sie mit winziger Stimme. »Kann ein so kluger Mann wie du eigentlich so viel Unsinn reden?«
    »Ich bin ein Deutscher, Lyra …«
    »Du bist Boranow. Kyrill Semjonowitsch Boranow. Nichts anderes bist du gewesen … Mein guter Mann Kyrill. Hast du nicht eine Frau, die Lyra Pawlowna heißt? Wirst du nicht Kinderchen haben, die Boranow heißen? Wer will das ändern?« Sie lächelte ihn an, ergriff seine Hand und legte sie über ihre Brüste. »Hier ist dein Leben«, sagte sie. »Rede es nicht weg, mein Schatz. Gib ihm keinen anderen Namen … Vergrab alles andere ganz tief und für ewig in dich … Ha, sieh dir die Uhr an, Kyrill! Die Zeit fliegt wie eine Sturmwolke. In zwei Stunden sind sie zurück. Und wir reden und reden und vergessen uns …«
    Sharenkow prallte zurück, als er weit nach Mitternacht nach Hause kam. Sein Töchterchen Lyra lag mit Kyrill Semjonowitsch unter einer Decke im Bett, und an den Schultern – man brauchte nicht zu raten – erkannte er, daß sie hüllenlos waren.
    »Eine Schande!« murmelte er, als Marja Iwanowitsch ihn aus dem Zimmer zog. »Oh, welche Schande! Dieser Gipfel der Schamlosigkeit! Unter meinem Dach! Soll ich ihn erschlagen?«
    »Laß sie schnell heiraten«, sagte Marja Iwanowna, das kluge Mütterchen. »Gehen wir doch morgen gleich zur Anmeldung in den Heiratspalast …«
    Milda Ifanowna wohnte noch immer in der Lesnaja uliza
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