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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Autoren: Tom Piccirilli
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wie es sein mochte, in einem Körper zu leben, in dem man nichts fühlte, nicht einmal die eigene Haut. Doch plötzlich wurde ihm klar, dass es ihm auf eine gewisse Weise selbst so ging. Dass es genau das war, worum es sich die ganze Zeit drehte.

    Flynn stand da und starrte sie an. Manchmal musste man erst einmal kurz durchatmen, um zu wissen, was als Nächstes zu tun war.
    »Geht es dir gut, Kelly?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete sie.
    »Hab keine Angst.«
    »Hab ich auch nicht.«
    »Es wird alles gut.«
    »Ich weiß. Er hat Sierra getötet.«
    Wie viel hatte sie wohl gesehen? »Hat er mit dir gesprochen?«
    »Er spricht nicht, normalerweise.«
    »Das stimmt, normalerweise nicht. Aber manchmal doch, oder?«
    »Manchmal.«
    Nuddin lächelte. Ein absolut unschuldiges, vielleicht sogar liebevolles Lächeln, das einem das Herz brechen konnte.
    Der Käfig. Christina Shepard hatte behauptet, ihn beschützen zu wollen. Vor sich selbst. Vielleicht hatte sie von seinen teuflischen Neigungen gewusst und ihn deshalb nicht auf die Welt losgelassen.
    Sierra hatte Flynn erzählt, dass Autisten Probleme haben, ihren Körper wahrzunehmen. Nuddin benutzte den Schmerz, um sich eine Identität zu geben. Flynn verstand nicht, woher ein Mensch die Willenskraft nahm, sich selbst so hart auf den Kopf zu schlagen, dass er Dellen davontrug. Sich den Arm umzudrehen, bis die Knochen brachen. Wie groß war der Schritt dahin, andere Menschen zu verletzen?
    Er beugte sich vor und sah durch die Stäbe.

    »Hey, hallo«, flüsterte Nuddin.
    Es war dieselbe Stimme, die Flynn in jener Nacht am Telefon gehört hatte. Die ihm erklärt hatte, sie sei befallen. Kummer und Schmerz, die Männer im Schlaf zugrunde richteten oder sie jahrzehntelang hinter Gitter brachten. Flynn war so nah dran gewesen. Er erinnerte sich, wie er dachte, dass die Stimme keinen Namen hatte, dass die Person nie identifiziert wurde und sich irgendwo versteckt hielt, unsichtbar, unbekannt und unverstanden.
    So nah dran war er gewesen und hatte es doch nicht erkannt.
    »Ich bin dein Freund«, sagte Nuddin. »Kannst du mit mir sprechen? Kannst du mich verstehen?«
    Dieselben Worte, die Flynn beim ersten Mal zu ihm gesagt hatte. Flynn erinnerte sich, wie er Nuddins Stimme gehört hatte, durch den Heizungsabzug, wie er leise im Keller gesungen hatte und sein Magen sich zusammengezogen und seine Kopfhaut geprickelt hatte. Genauso war es jetzt.
    Nuddin grinste entschlossen. Vielleicht verstand er den Sinn seines Lebens nicht, aber zumindest erkannte er ihn und nahm ihn an. Damit hatte er den meisten Menschen auf der Welt einiges voraus.
    Niemand hatte nach jenem Abend hier unten aufgeräumt. Eine getrocknete Blutlache klebte auf dem Boden, dort, wo Shepard gelegen hatte, nachdem ihm seine Frau eine Kugel ins Herz gejagt hatte.
    »Ich kenne dein Geheimnis«, flüsterte Nuddin.
    Seine Stimme kommt direkt aus der Hölle. Man kann sich nicht dagegen wehren.

    Sie ging Flynn durch und durch, und er spürte, wie sie etwas in ihm zum Klingen brachte. Eine Stimme, die keinen Namen hatte, die nie getauft oder identifiziert worden war. Das Zischeln der Lügen und Sünden. Der Schrei des eigenen Wahnsinns. Das Flüstern des Todes. Das Geräusch von Eis, das unter einem brach.
    Flynn hatte sich inzwischen daran gewöhnt.
    »Na und?«, fragte er.
    Er holte den.38er aus dem Halfter. Nuddins Augen weiteten sich, sein Lächeln verwandelte sich in ein boshaftes Grinsen, und er drückte die Spitze des Messers an Kellys Hals. Sie schnappte nach Luft, tat aber sonst nichts.
    Flynn dachte, dass sie das Zeug dazu hatte, der stärkste, entschlossenste Mensch zu werden, den er je kannte. Er wäre gern dabei gewesen, wenn sie in zehn Jahren ihren Highschool-Abschluss machte, aber dazu würde es wohl nicht kommen.
    »Lass Kelly gehen.«
    »Nein«, sagte Nuddin. »Nein, nein, nein.«
    Flynn entlud seine Pistole. Er ließ die Patronen in der Hand klappern, bevor er sie zur einen Seite wegwarf und die leere Waffe zur anderen.
    »Ich schieße nicht auf dich.«
    »Oh«, sagte Nuddin. »Oh, oh, oh. Das ist schlecht.«
    »Warum?«
    »Das solltest du eigentlich wissen.«
    So, so, ein Zurückgebliebener mit Sabber am Kinn erzählte ihm, er habe keine Ahnung. Flynn ernüchterte der Gedanke, dass Nuddin alles kontrolliert und dirigiert
hatte, was in den letzten Wochen passiert war. Dass er tatsächlich über Flynns Leben bestimmt hatte. Weil er selbst es zugelassen hatte. Eine multiple Persönlichkeit – die dominante
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