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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Autoren: Kirsten Rick
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jetzt nur für mich. Ich wusste gar nicht, dass man überhaupt so viel Spaß haben konnte. Das lag an Brigittes direkter Art. Sie sagte immer, was sie dachte – und tut es auch heute noch. Dafür bewundere ich sie maßlos.
    Brillen tragen wir übrigens schon lange nicht mehr, wir sind gemeinsam auf Kontaktlinsen umgestiegen. Ich habe sie nie gefragt, warum sie ausgerechnet mit mir befreundet sein wollte. Das kann ich mir bis heute nicht genau erklären.
    »Du weißt immer was du willst«, stöhne ich leicht entmutigt.
    »Stimmt«, antwortet Brigitte und zieht zum Beweis unsere Abi-Zeitung aus ihrem perfekt geordneten Regal. Diese Frau ist so verdammt gut organisiert, das macht mich noch wahnsinnig. Sie blättert kurz durch und hält mir dann eine aufgeschlagene Seite hin. Fotos von uns mit aus heutiger Sicht hochnotpeinlichen Frisuren: Ich trage einen blauschwarz gefärbten Topfschnitt, Brigitte hat – das hatte ich schon längst vergessen – eine Dauerwelle, die sie mit einem Kreppeisen nachbehandelt hat. Sieht aus wie dressierte Zuckerwatte.
    »Sind wir freiwillig so herumgelaufen?« frage ich.
    »Natürlich! Wir waren sogar stolz darauf. Aber lenk nicht ab. Guck mal lieber, was unter den Bildern steht.«
    Ich lese: »Mit dreißig bin ich ...« Ach ja, das war diese alberne Umfrage. Bei Brigitte steht dort, natürlich: »... Winzerin.« Sie wusste es damals schon. Nach dem Abi hat sie einen Monat bei der Weinlese in Frankreich gejobbt, und in ihrem Regal stehen dreieinhalb Meter Fachliteratur. Sie hat Sommelierkurse besucht und pflegt an der Südwand des Hauses hingebungsvoll kümmerliche Reben, die schwer mit dem norddeutschen Nieselregenklima zu kämpfen haben. Sie wird es schaffen.
    Gleich daneben sind Dodo und Sandra abgebildet, zwei Freundinnen von Brigitte und mir. Bei Dodo steht: »... Mutter von zwei Kindern«. Sie ist ein wenig über ihr Ziel hinausgeschossen, drei Gören sind es inzwischen geworden. Und Sandra hat knapp »Dr.« geantwortet. Sie studiert noch, Meteorologie, glaube ich, aber ganz sicher bin ich da nicht. Ich habe die Umfrage damals nicht besonders ernst genommen, deshalb steht unter meinem Bild nur: »... ähhhhh?« Ich fand das damals wohl lustig. Heute kommt es mir sehr entlarvend vor.
    Brigitte sieht mich prüfend an. »Und wie stellst du dir deine Zukunft heute vor?« Die Gegenfrage. Die unbeantwortbare Frage. Die Bei-richtiger-(oder-falscher?)-Antwort-bekommen-Sie-ein-Traumhaus! -Frage.
    »Ich weiß es nicht. Das ist ja mein Problem.« Ich erzähle Brigitte von dem Grundstück, dem Fertighaus, davon, dass alle so begeistert sind und niemand mich gefragt hat. Und dass ich, wenn ich mir meine Zukunft vorstelle, eine Frau sehe, die nicht aussieht wie ich und die von gelben Wänden umgeben ist. Gelb ist meine absolute Hassfarbe. Darin sehe ich aus wie vorgestern verblichen.
    »Dann ist es auch nicht deine Zukunft, die du da siehst«, sagt Brigitte. »Dann ist es die Zukunft einer anderen.«
    »Wessen Zukunft soll das denn sein, wenn nicht meine?«
    »Keine Ahnung. Soll ich dir mal sagen, wie ich deine Zukunft sehe?«
    »Aber gerne.« Ich bin gespannt. Und ein bisschen ängstlich.
    »Nächsten Mai feiert ihr Richtfest. Heiner wird zu viel Bier trinken und etwas aus dem Rahmen fallen, das wird dir peinlich sein. Aber am nächsten Morgen hast du ihm wieder verziehen, wie immer. Im Juli ist das Haus fertig, ihr könnt einziehen. Die Einweihungsparty ist gleichzeitig eure Hochzeitsfeier, so schlagt ihr zwei Fliegen mit einer Klappe und spart euch ein Fest. Außerdem wird er dich eh erst heiraten, wenn das Haus steht. Damit es allein seins bleibt, die Ehe als Zugewinngemeinschaft, du weißt schon. Im Wohnzimmer habt ihr eine cremefarbene Sitzgarnitur, bestehend aus einem Drei- und einem Zweisitzer und einem Sessel. In der Mitte einen runden Couchtisch mit Steinplatte. An den Wänden Strukturtapete, damit es wohnlich wirkt. Den Kleiderschrank für das Schlafzimmer müsst ihr euch extra anfertigen lassen, denn ein normaler Schrank passt nicht unter die Dachschräge. Die Duschkabine ist aus Plastik, obwohl du lieber Glas wolltest, aber deine Schwiegermutter setzt die Sparlösung durch. Ihr werdet zwei Kinder haben, denn es gibt zwei Kinderzimmer. Alle sind sehr zufrieden. Ob du glücklich sein wirst, kann ich allerdings nicht sehen.«
    Ich bin baff. »Du kennst mich aber gut«, entgegne ich beklommen.
    Brigitte schüttelt mit dem Kopf. »Sagen wir mal: Ich kenne deine Mutter. Die Einrichtung,
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