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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden
Autoren: Lisa Kleypas
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Straßenrand, die Rosen am Haus. Sie blieb davor stehen und betrachtete es. Kaum zu glauben, dass sie es erst vor etwas mehr als einem Monat verlassen hatte. Es kam ihr vor, als würde sie nach Jahren zurückkehren. Der Garten wirkte etwas vernachlässigt. Sie würde das Unkraut jäten müssen, das sich überall zwischen den Blumen breit machte. Sie legte die letzten Schritte bis zur Tür mit Herzklopfen zurück, dann verharrte sie einige Sekunden vor dem Eingang und dachte plötzlich an den Abschied von Grant am Morgen.
    Er hatte sich geweigert, ihr einen Abschiedskuss zu geben – es sei kein Abschied, meinte er –, und als sie ihm aus der abfahrenden Kutsche zuwinkte, hatte er nur stumm und traurig dagestanden, wie ein ausgesetzter Hund.
    Victoria war so gerührt und belustigt von dem Anblick, dass sie den Kutscher beinahe hätte umdrehen lassen. Aber nur beinahe. Vergeblich hatte er in den letzten Stunden auf ein ja von ihr gewartet. Dabei wollte sie ihn heiraten, aber sie war sich immer noch nicht sicher, ob es richtig wäre. Nach wie vor hatte sie Angst dass er diesen Schritt eines Tages bereuen, dass er sich langweilen könnte. Victoria wusste, dass sie das nicht ertragen könnte, denn sie liebte ihn mit Haut und Haaren und wollte nur, dass er glücklich war.
    Mit wem konnte sie sonst über diese Ängste sprechen, wenn nicht mit ihrer Schwester. Sie wusste nicht ob Vivien sie verstehen würde, aber es gab sonst niemanden, dem Victoria sich anvertrauen konnte. Ihr Verhältnis war nie einfach gewesen, aber trotzdem wusste Victoria, dass ihre Schwester sie liebte und nur das Beste für sie wollte.
    Victoria klopfte drei Mal an die Tür und trat dann in, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch.
    »Jane?«, ertönte vom Hausinneren eine Stimme. »Bist du schon wieder da, das ging aber schnell, ich dachte …«
    Vivien verstummte, als sie aus dem Wohnzimmer in die Diele kam und den Besucher erblickte.
    Victoria schenkte ihrer fassungslosen Schwester ein warmes Lächeln. Sie sah fantastisch aus: vertraut und doch exotisch.
    Vivien brach zuerst das Schweigen: »Kein Wunder, dass du alle meine Einladungen nach London ausgeschlagen hast, Schwesterchen. Du gehörst wirklich nicht in die große Stadt du kleine Landpomeranze.«
    Victoria sah sie noch einige Sekunden stumm an, dann brach sie in lautes Lachen aus und lief auf ihre Schwester zu. »Vivien, ich kann es kaum glauben!« Sie umarmten sich innig, oder jedenfalls so gut es ging. Denn Victorias Zwillingsschwester war hochschwanger und der runde Bauch war zwischen ihnen. Viviens Wangen waren gerötet und lebhaft, fast sah sie jetzt lieblich aus, ein Attribut das die gesamte Männerwelt von London ihr vor Monaten bestimmt nie gegeben hätte.
    »Ich bin fett geworden«, sagte Vivien und zog eine Schnute.
    »Nein, du bist wunderschön. Wirklich.«
    Sie standen sich gegenüber und hielten sich die Hände. Immer wieder umarmten sie sich zärtlich und musterten sich dann wieder eingehend.
    »Meine liebe Victoria. Ich hatte solche Angst vor dieser Begegnung, weil ich mir sicher war, du würdest mich hassen für all das, was ich dir angetan habe.«
    »Dich hassen? Du bist meine einzige Schwester. Ich habe dich allerdings in den letzten Tagen im Stillen oft verflucht. Nein, ich habe dich nie gehasst aber ich habe es gehasst du zu sein.«
    Vivien wusste nicht recht ob sie beleidigt oder dankbar dreinblicken sollte. »Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht für dich war, aber für mich war es auch nicht besonders angenehm, in diesem langweiligen Kaff lebendig begraben zu sein.«
    »Mich hat man beinahe wirklich begraben«, sagte Victoria trocken.
    Den Kopf schuldbewusst gesenkt, sagte Vivien: »Bitte verzeih mir, Schwesterchen. Niemals wollte ich, dass das geschieht. Wenn du nur nicht nach London gekommen wärst …«
    »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht deshalb bin ich gekommen.«
    »Dann merk dir bitte für die Zukunft, dass ich viel besser auf mich aufpassen kann als du auf dich.« Sie schmunzelte wieder. Dann verzog sie plötzlich das Gesicht und stemmte sich eine Hand in den Rücken, drehte sich um und betrat die Stube. »Ich muss mich setzen, Schwesterchen. Mein Rücken tut weh.«
    Sofort trat ein besorgter Ausdruck auf Victorias Gesicht. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Vivien klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich auf dem Sofa. »Setz dich einfach hierher und rede mit mir. Es ist gut, dass du da bist. Ich
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