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Schatten Des Dschungels

Schatten Des Dschungels

Titel: Schatten Des Dschungels
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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Wut. Vielleicht will er versuchen, an die DVD heranzukommen. Aber die Silberscheibe ist nirgendwo zu sehen, wahrscheinlich liegt Falk darauf. Stumm blicke ich zu dem Fremden hoch, fordere ihn wortlos heraus. Einen Moment lang treffen sich unsere Blicke, seine Augen sind von einem hellen Blau mit einem dunklen Ring darum.
    In diesem Moment schwenkt Andy irgendetwas in der Luft, etwas Silbernes, und schreit: »Geben Sie doch einfach auf, Sie Scheißkerl, wir haben noch mehr DVDs mit den Daten, hier ist eine – können Sie sich holen!« Er schleudert die Scheibe ins Gebüsch und sie segelt wie eine Frisbee ein ganzes Stück weit.
    Der Mann zögert einen Moment lang, dann geht er mit schnellen Schritten in Richtung der DVD. Jetzt rennt er, sucht im hohen Gras nach der Scheibe. Die Frau mit der Pistole hilft ihm. Doch die Sirenen werden lauter und lauter, die Polizei scheint schon auf dem Uferweg zu sein.
    Die Frau stößt einen Ruf aus, sie hält Andys DVD in der Hand – der Mann steckt sie ein, dann gehen sie mit schnellen Schritten davon, tauchen ein in den Wald.
    Erleichtert sehe ich sie verschwinden. Aber als ich wieder zu Falk herabblicke, sind seine Augen halb geschlossen und sein Blick geht ins Leere. Eine Lanze aus Eis durchbohrt mein Herz. Ich schreie Falks Namen, aber er hört es nicht mehr, wird es nie mehr hören. Jemand kniet neben mir, aber ich merke es kaum, in mir ist nur dieser Schrei, der mich von innen zerreißt. Er hallt noch immer in mir nach, als der Wald längst in flackerndes blaues Licht getaucht ist … und ein furchtbares kleines Wort kommt als Echo zurück.
    Vorbei. Vorbei. Vorbei.

Last Time
    Breit und träge fließt die Isar in ihrem Kieselbett dahin und an ihren Ufern lagern junge Leute aus der ganzen Stadt; der Rauch von Grillfeuern hängt in der Luft. Ich setze einen Fuß vor den anderen, noch ein Schritt und noch einen und noch einen. Wenn ich mich darauf konzentriere, haben keine anderen Gedanken in meinem Kopf Platz. Das habe ich geübt, immer wieder. Einfach hier zu sein. Nicht zu denken. Frieden zu finden in dem, was ich tue.
    Es ist das erste Mal seit Wochen, dass ich wieder hier bin, am Fluss. Und es ist auch das erste Mal, dass ich mich wieder mit Andy treffe. Schweigend gehen wir nebeneinander über die hölzerne Brücke in Richtung Tierpark, dann runter zum Ufer.
    Andy schaut mich von der Seite an. »Ist es okay für dich? War vielleicht eine blöde Idee von mir. Wir können auch woanders hingehen.«
    Doch ich schüttele den Kopf. Seltsam, aber es tut mir gut, hier zu sein. Dieser Ort hat zu Falk gehört, und etwas von ihm scheint noch hier zu sein, ich kann es spüren. Ich hätte schon früher herkommen sollen. Vielleicht werde ich irgendwann auch die Kraft haben, noch einmal dorthin zu gehen, wo es passiert ist.
    Wir ziehen die Schuhe aus, und ich fühle den weichen Boden unter meinen Füßen, die Steine, einen trockenen Zweig. Eine Zeit lang gehen wir auf einem Trampelpfad flussaufwärts, bis wir an den plaudernden Gruppen und den Lagerfeuern vorbei sind. Dann suchen wir uns eine Stelle zwischen den Weiden und setzen uns auf den Boden, sodass wir den Fluss sehen können. Ein paar Kinder planschen in Badeshorts darin.
    »Du bist wieder in der Schule, habe ich gehört?«, fragt Andy. Es fällt ihm nicht leicht, mein Schweigen auszuhalten; ich weiß, dass er sein Bestes tut. Vielleicht ist ja wirklich die Zeit gekommen, darüber zu reden, was wir erlebt haben. Den Behörden habe ich längst alles berichtet, und auch meiner Familie, aber danach habe ich einfach aufgehört zu antworten, obwohl Fragen von allen Seiten auf mich einprasselten. In den ersten Wochen habe ich sowieso fast nur geweint, ich hätte kaum sprechen können, selbst wenn ich gewollt hätte.
    »Ja, ich bin wieder in meiner alten Klasse«, sage ich schließlich. »Aber besonders gut klappt es nicht.« Es ist nicht ganz leicht, in Worte zu fassen, wo das Problem liegt. »Es kommt mir alles so … unwichtig vor, was wir lernen. So kindisch und ohne wirklichen Sinn.«
    Andy pflückt einen Grashalm und reißt ihn abwesend in Stücke. »Ich glaube, das ist einfach das normale Leben. Wahrscheinlich gewöhnt man sich nach einer Weile wieder daran, und es fällt einem nicht mehr auf, dass die meisten Dinge tatsächlich unwichtig sind.«
    Ich nicke und muss daran denken, was für mich in den letzten Wochen wirklich wichtig war – dass Eloísa und meine Schwester ganz selbstverständlich für mich da waren, als ich sie
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