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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart
Autoren: Lili Wilkinson
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dir kein glückliches Ende bieten.«
    Hannah erhob sich. »Habe ich das je von dir verlangt?«, fragte sie und wusste gleichzeitig, dass sie das sehr wohl getan hatte. Sie hatte sich das glückliche Ende tausendmal vorgestellt. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie verließ die Höhle.
    Thomas’ Höhle befand sich hoch oben in den Bergen über einer langen Kette von Tälern, durch die Hannah undMolly gekommen waren. Die drei zerklüfteten gelben Felszacken hockten auf dem Bergrücken wie die Alte aus Sägespänen, die Glasfrau und das Wachskind aus dem Märchen von Scatterheart. Hannah blickte zur Seite. Sie hatten ihr nicht geholfen.
    Sie erinnerte sich an ihre Tagträume vom Wiedersehen mit Thomas. Seit ihrem Traum vom weißen Bären hatte sie ihre Zusammenkunft wieder und wieder durchgespielt. Wie kindisch und unsinnig kam ihr das jetzt vor. Sie stocherte mit einem Stock im Feuer. Orangefarbene Funken sprühten hoch und vergingen. Hannah schaute ihnen abwesend hinterher. Sie hörte Schritte hinter sich, dann setzte er sich neben sie.
    »Auch ich habe es mir vorgestellt«, sagte er, »das glückliche Ende. Ich habe nur nie ernsthaft geglaubt, dass du kommen würdest.«
    Der Hauch eines Lächelns – eines echten Lächelns – huschte über sein Gesicht und einen Augenblick lang sah Hannah wieder den jungen Mann vor sich, der im Hyde Park Schneetiere mit ihr gebaut hatte. Sie saßen eng nebeneinander, berührten sich aber nicht. Hannah stocherte wieder im Feuer und wirbelte einen neuen Funkenregen auf.
    »Verzeih mir«, flüsterte Hannah.
    Thomas verlagerte leicht sein Gewicht. »Was denn?«
    Hannah zuckte die Achseln. »Alles. Dass ich so schrecklich zu dir war. Dass ich war, wie ich war.«
    Wieder dieser Hauch eines Lächelns, diesmal mit einem kleinen, lebhaften Funkeln in den Augen.
    »Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du du bist. Du bist stark.«
    »Stur.«
    »Das ist dasselbe.«
    Er nahm ihre Hand. Es war nicht dieselbe Hand, die sie an seinem ersten Tag als Hauslehrer gespürt hatte. Diese Hand war schwielig und hart. Aber sie deckte die ihre immer noch zu, sie verschwand vollständig darin.
    »Auch ich muss dich um Verzeihung bitten«, sagte er. »Ich hätte dich nicht aufgeben dürfen.«
    »Du hattest gute Gründe dafür.«
    »Trotzdem hätte ich nicht aufgeben dürfen.«
    Sie drückte seine Hand.
    »Ich habe mir unser Leben ganz anders vorgestellt«, gestand er.
    »Ich habe immer gedacht, ich wäre in der Lage, dich zu beschützen, aber …«
    »Das bist du auch«, entgegnete Hannah. »Du hast mich beschützt. Wir können gegenseitig auf uns achtgeben.«
    Er nickte. Sie hob die Hand und berührte leicht seine Wange. Sie war rau und kratzig von Bartstoppeln. Er schloss die Augen und lächelte sanft. Hannah lehnte sich an ihn. Er fühlte sich warm und kräftig an. Sicher.
    Thomas schlug die Augen wieder auf. »Möchtest du nach London zurück?«
    Hannah sah über die Berge, die sich vor ihr erstreckten, majestätisch und überwältigend. Ein riesiger goldbrauner Vogel kreuzte ihren Blick und stieg in den tiefblauen Himmel auf. Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein.«
    »Gut«, sagte Thomas. »Ich glaube, hier gibt es viele Möglichkeiten für einen entsprungenen Sträfling und einen flüchtigen Mörder.«
    Hannah entspannte sich endlich. Er hatte recht. Dies war ein Land, in dem nichts so war, wie es schien. Irgendwo würden sie ihren Platz finden.
    Nach einer Weile sagte Thomas zögernd: »Du hast also geheiratet …«
    »Ich dachte, du wärst tot«, entgegnete Hannah. »Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Deshalb hob ich sein Taschentuch auf. Ich wusste nicht, dass es bedeutet, dass wir verheiratet sind.«
    Thomas schaute zur Seite und schluckte.
    »Bist du eifersüchtig?«, fragte sie.
    Scheinbar gleichgültig erwiderte er: »Du hast sein Taschentuch aufgehoben. Du hast ihn gewählt.«
    Hannah legte ihre Hand auf seine Wange und drehte seinen Kopf zu ihr hin, sodass er sie ansehen musste.
    »Dich habe ich zuerst ausgewählt«, sagte sie. Sie wühlte in ihrer Kleidertasche und zog einen braunen Stofffetzen heraus. »Dein Taschentuch habe ich schon vorher aufgehoben.« Sie drückte ihm den Fetzen in die Hand.
    Thomas sah ihn an und lächelte.
    »Danke«, flüsterte er.
    »In London«, begann Hannah und erinnerte sich daran, wie er mit leuchtenden Augen vor dem Kamin gestanden hatte, »in London hast du gesagt, wir würden ein Abenteuer erleben.«
    Thomas verzog überrascht das
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