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Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Titel: Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Autoren: Barbara Baraldi
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schokobraun, aber ich möchte wetten, dass sie in ein paar Wochen mit einer neuen Farbe nach Hause kommt, ganz bestimmt irgendetwas Auffallenderes. Meine Mutter liebt leuchtende Farben, trotz ihrer schmalen Lippen trägt sie immer einen Hauch feuerroten Lippenstift.
    »Dann gehe ich mal.« Ich stehe auf und schnappe mir meinen Schulrucksack.
    »Ciao«, sagt sie zerstreut.
    Mein kleiner Bruder Marco springt auf und läuft zu mir, um mir einen Kuss auf die Backe zu geben, in der einen Hand den milchverschmierten Löffel und in der anderen die Bürste, die er mir stibitzt hat.
    »Ciao, du kleiner Frosch«, murmele ich.
    Er verzieht schmollend den Mund. »Ich hab ein bisschen Angst vor dem ersten Schultag«, meint er leise.
    »Du bist doch jetzt ein großer Junge. Wird schon alles gut gehen.« Wenn er wüsste, dass ich mich mehr fürchte als er, würde er mich bestimmt nicht mehr als sein leuchtendes Vorbild ansehen.
    »Und wenn es mir nicht gefällt?«, fragt er und starrt auf seine Schuhspitzen.
    »Dir wird es supergut gefallen, und du wirst jede Menge neue Dinge lernen.«
    »Okay«, brummt er und setzt sich wieder an den Tisch.
    Ich atme einmal tief durch und gehe dann nach draußen, wo die toskanische Herbstsonne mich mit einer Kraft küsst, die ich nicht gewohnt bin.
    »Wird schon alles gut gehen«, wiederhole ich leise und durchquere mit großen Schritten den Garten.

2
    D as Haus, in das wir gezogen sind, ist so anders als unsere Wohnung in Cremona. Es ist sehr geräumig, wirkt aber irgendwie düster, mit großen Fenstern, die einen wie neugierige Augen ansehen. Es ist von Bäumen und merkwürdigen Büschen umgeben, die so rund sind wie Baisers. Von dem oberen Stockwerk, wo die Schlafzimmer liegen, geht ein abschüssiges Vordach aus Holzlatten ab, das sich wie der traurige zahnlose Mund einer älteren Dame über einen mit Margeriten übersäten Rasen erhebt. In den ersten Tagen nach dem Umzug habe ich mich abends oft auf dieses Holzdach gesetzt und in den Himmel gestarrt, in der Hoffnung, eine Sternschnuppe zu entdecken und mir dann etwas wünschen zu können. Ich wusste genau, was ich mir wünschen würde: nach Cremona zurückzukehren und das neue Schuljahr mit den üblichen Freunden zu beginnen. Sogar der Balboni trauerte ich nach, meiner stets strengen und ein wenig missmutigen Mathematiklehrerin, die Blondinen generell nicht ausstehen konnte, weil eine von denen ihr den ersten – und letzten – Freund ausgespannt hatte, zumindest sagte sie das immer. Ich vermisse mein Viertel mit den pastellfarbenen Wohnhäusern und den kleinen Grünanlagen, die für Hunde verboten sind. Ich vermisse Birillo, den Hund unseres Nachbarn, der jeden Morgen um zwanzig vor sieben pünktlich wie die Eieruhr losbellte, und den kleinen Balkon, auf den ich mich immer zum Lernen zurückzogen habe.
    Hier in der Toskana dominiert die Natur, es herrscht eine unnatürliche Stille, die nur von den nächtlichen Geräuschen und den Lauten der Tiere unterbrochen wird, die sich in der Dunkelheit verbergen. Hinter dem Haus erhebt sich eine kleine Anhöhe mit zwei Schaukeln, von denen man auf eine Kette sanft geschwungener Hügel blickt. Auf einem von ihnen steht ein hoher schlanker Turm, den ich auch vom Fenster meines Zimmers sehen kann. Er wirkt irgendwie melancholisch und dekadent, sodass mir bei seinem Anblick Geschichten von geraubten Prinzessinnen und tapferen Rittern, die sie retten wollen, in den Sinn kommen, von Drachen und Zauberern, Hexen und sprechenden Katern. Bei Tag verliert der Turm zumindest einen Teil seines romantischen Flairs, das er in der Nacht ausstrahlt, wenn sinnliches Mondlicht ihn umschmeichelt. Ich grüße ihn mit den Augen und beschleunige meinen Schritt. Jetzt kann ich es nicht mehr vor mir herschieben: Heute beginnt ganz offiziell mein neues Leben in Siena, mit neuen Lehrern und neuen Mitschülern.
    Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn mein Vater mich hingebracht hätte, aber na ja, man kann nicht alles haben. Stimmt schon, die Schule ist ziemlich nah, sodass man sie auch bequem zu Fuß erreichen kann. Und Simona hat ja sogar angeboten, mich zu fahren, aber wenn ich das angenommen hätte, wären wir uns bloß wieder in die Haare geraten. Irgendwie kommt mir das wie ein schlechtes Omen vor – dass ich mich diesem neuen Abschnitt meines Lebens so ganz allein stellen muss, jagt mir Angst ein. Aber dann sage ich mir, dass ich schließlich schon in der elften Klasse bin und auf eigenen Füßen stehen kann. Da ist
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