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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
Autoren: John Scalzi
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bundesstaatlichem Land erbaut und anfänglich von einer Handvoll privater Philanthropen finanziert. Der ursprüngliche Entwurf wurde rücksichtslos durch einen Umweltaktivisten aus Colorado durchgesetzt, der sich einbildete, ein moderner Pablo Lugari zu sein, der auf einer wesentlich größeren Leinwand malte. Die Stadt, die keine Stadt war, wuchs, nicht allen Widerständen zum Trotz, sondern durch die gezielte Hartnäckigkeit, die es in Nordamerika nicht mehr gegeben hatte, seit Pierre L’Enfant den Stadtplan des District of Columbia entwarf. Während die diagonalen Prachtstraßen von Washington darauf angelegt waren, die besten Voraussetzungen für ein flächendeckendes Kanonenfeuer zu bieten, um die britischen Invasoren zurückzuschlagen, verteidigt sich Cascadiopolis auf wesentlich subtilere und effektivere Weise.
    Fast genauso wie die Briten gegen James Madisons Washington vorgerückt waren, plante Tygre Tygre Cascadiopolis einzunehmen. Wie seine historischen Vorläufer wollte er den Sitz der Macht in Flammen aufgehen lassen. Genauso wie sie würde er schließlich scheitern, während der Traum, der das Herz der Stadt bildete, überdauern würde.
    Tygre ist ein großer Mann, wie alle natürlichen Anführer. Wir sind noch nicht weit von den Obstbäumen Zentralafrikas entfernt, und eine Körpergröße, die den Vorteil einer großen Armreichweite und des frühen Erkennens von Gefahren bietet, ist genauso hilfreich, wenn es darum geht, Komiteesitzungen zu dominieren und Kneipenschlägereien zu gewinnen. Dieses Wissen steckt in unseren Genen, noch viel tiefer als unsere Sozialisation, die die Botschaft lediglich verstärkt.
    Die Färbung des Neuankömmlings ist uneindeutig im Mondlicht der Cascades-Nacht. Bashar kann sich im ersten Moment nicht entscheiden, welche Form von Hass er diesem Eindringling entgegenbringen will, der die Arroganz besitzt, mitten durch seine brutal trainierten Wachposten hindurchzuspazieren. Der Neuankömmling scheint kein Weißer zu sein, aber er ist auch nicht von gefahrloser, anonymer dunkler Hautfarbe. Er ist sonderbar, wie ein Bewohner der Andamanen oder jemand aus den genetischen Schmelztiegeln des unbeweint beerdigten Westküsten-Liberalismus.
    Misstrauen ist universell , ruft sich Bashar ins Gedächtnis, als er den Lauf seiner Waffe gegen die weiche Haut unter dem Kinn des größeren Mannes drückt. »Willkommen in der Endstation«, flüstert er.
    Tygre ist unbeeindruckt, so ruhig wie jemand, dem von einem Bankdirektor ein Scheck überreicht wird. Als er spricht, hat seine Stimme ein Timbre, das Armeen in Marsch setzen könnte, das Männer wie Frauen dazu veranlassen könnte, auf die Knie zu fallen oder eine Opferschale zu füllen. »Ich neige eher zu der Überzeugung, dass dies ein Anfang ist.«
    Bashar hätte den Mann beinahe auf der Stelle erschossen, aber etwas hält seine Hand zurück. Es wäre kein Verstoß gegen die Gefechtsregeln, denn niemand darf Cascadiopolis auf legale Weise bei Nacht betreten. »Haben Sie noch nie vom Granittor gehört?«
    Das ist der Außenposten viel weiter unten auf dieser Seite der Wasserscheide, wo das aufgegebene Nebengleis der Eisenbahn an der Bockbrücke endet, wo Menschen mit einem Visum oder Deportationsbefehl oder aus einem der hundert anderen erforderlichen Gründe, die auf der zirkulierenden Liste genannt sind, erscheinen und die Einreise beantragen können.
    Selbst hier im Herzen des nebelverhangenen Reichs der Anarchie gibt es Abläufe, Regeln und Auflagen, die eingehalten werden müssen. Die Freiheit muss durch eine Mauer des Misstrauens geschützt werden. Nur Ratten schlüpfen im Dunkel der Nacht hindurch. Sie werden gefangen, geschlagen, gehäutet und dann wie die aufgespießte Beute eines Raubwürgers auf Eisenpfähle an der äußersten Grenze des städtischen Territoriums gesteckt, um zu verrotten.
    Diese Maßnahmen sind sehr wirksam und erleichtern den Wachposten Bashars die Arbeit.
    Aber nicht in dieser Nacht.
    »Das wäre für mich nicht zweckdienlich gewesen«, sagt Tygre.
    »Zweckdienlich«, wiederholt Bashar, als hätte er dieses Wort nie zuvor gehört. Trotzdem ist er fasziniert. Seit er in die Pubertät eintrat, ist ihm niemand mehr so völlig furchtlos entgegengetreten. Dreißig Jahre und einen Beinahe-Zusammenbruch der Zivilisation später ist Bashars Name zu einem Synonym für die brutale und effektive Sicherheit von Eureka bis nach Prince Rupert geworden.
    »Nein«, sagt Tygre lächelnd. In diesem Moment offenbart sich
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