Röslein stach - Die Arena-Thriller
Sechzig-Stunden-Woche! Ich habe total gebüffelt, hatte aber trotzdem keine besonders guten Noten. Ich bin eben nicht so schlau. Dann dachte ich mir: Was kann ich mit einem schlechten Abi denn schon anfangen? Veranstaltungstechnik finde ich echt cool und dazu brauche ich kein Abi und kein Studium. Ich werde mich auf Tontechnik spezialisieren und Soundfrau werden. Ich möchte am Mischpult sitzen, wenn die ganz großen Bands spielen, ich will mit auf die Tourneen…«
Während Katie ihren rosaroten Zukunftstraum vor ihrer Freundin ausbreitete, schweiften Antonias Gedanken ab. Verdammt, warum musste sie gerade jetzt an ihre Mutter denken? Als sie so allein und verlassen an der Bushaltestelle gestanden hatte… Wie es ihr wohl ging, am ersten Abend ohne ihre Tochter? Aber was machte es für ihre Mutter schon für einen Unterschied, ob Antonia oben in ihrem Zimmer saß, so wie bisher, oder jetzt hier wohnte? Vielleicht war ihre Mutter ja sogar froh, sie los zu sein. Wie Ralph wohl reagiert hatte? Sie musste sie unbedingt anrufen. Aber nicht am Wochenende, sonst hatte sie womöglich Ralph am Apparat. Ein Handy besaß ihre Mutter leider nicht, Ralph hatte es ihr ausgeredet. Mann, ihre Mutter lebte wirklich wie eine… eine Leibeigene. Das war doch auch das Wort, das Robert vorhin benutzt hatte, bei seinem Versuch, sie mit dem Recht der ersten Nacht zu schockieren. Ihre coole Reaktion hatte ihn kurzzeitig aus der Fassung gebracht, das hatte man deutlich gesehen, ehe er dann anerkennend gelacht hatte.
Nun fragte Antonia ihre Freundin: »Sag mal, ist Robert immer so, wie er heute Abend war?«
»Ja, am Anfang schon. Er spielt sich gern ein bisschen auf und macht auf dicke Hose. Angeblich will er Schriftsteller werden. Ich glaube, er probiert seine Plots gerne an Leuten aus und dann freut er sich, wenn man ihm auf den Leim geht. Wenn man ihn näher kennt, merkt man, dass er ein ziemliches Sensibelchen ist. Deshalb macht er ja auch einen auf Weltverbesserer.«
»Wieso?«
»Das wirst du schon noch mitkriegen, wenn die hier ihre konspirativen Versammlungen abhalten. Er gehört zu einer ziemlich radikalen Tierschutzgruppe. So was wie PETA, falls dir das was sagt, nur eben im Kleinen. Sie machen echt derbe Aktionen in der Stadt: Sperren sich nackt in Käfige, wie Hühner, beschmieren sich mit künstlichem Blut oder sprühen Pelzmäntel an. Neulich haben sie den Dienstwagen des Landwirtschaftsministers mit Kuhscheiße beschmiert.«
Antonia kicherte.
»Mathe steckt da auch mit drin«, wusste Katie. »Das hätte ich dem erst gar nicht zugetraut. Wahrscheinlich macht er es, weil er scharf ist auf Sarah, die wirst du auch noch zu sehen kriegen, so eine blonde Barbie mit Rehaugen. Aber da läuft nichts. Die steht total auf Robert.«
»Und Robert?«, fragte Antonia ein bisschen zu schnell.
»Sieht nicht so aus.«
»Hat er denn keine Freundin?«
»Keine Ahnung. Ich wohne schließlich auch erst seit knapp drei Wochen hier. In der Zeit hat er noch keine angeschleppt.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Weißt du, was ich glaube?«
»Was denn?«
»Robert ist wahrscheinlich schwul.«
»Hm«, machte Antonia nur.
»Ich meine – er sieht eigentlich zu gut aus, um nicht schwul zu sein, findest du nicht?«
»Na ja…« Antonia, die sich gegen diesen Gedanken mit allen Fasern sträubte, fragte: »Hast du Mathe mal danach gefragt?«
»Ja. Der behauptet: Nein. Aber was weiß der schon?«
»Immerhin kennt er ihn seit Jahren«, entgegnete Antonia und setzte hinzu: »Oder ist er etwa auch schwul?«
»Mathe schwul? Nee… Der kommt mir eigentlich nur ein bisschen verklemmt vor.«
»Aber ganz nett«, meinte Antonia. Sie war Matthias noch immer dankbar für seinen kleinen Wink von vorhin. Während mich Katie eiskalt ins offene Messer laufen ließ, fiel Antonia ein. So viel zum Thema Solidarität unter Frauen.
»Jedenfalls wäre es besser, du verknallst dich nicht in Robert. Das gibt nur Ärger – so oder so. Und es schadet dem WG-Frieden.«
»Ich hab’s nicht vor«, hörte sich Antonia sagen.
Als Katie demonstrativ zu gähnen anfing, ging Antonia hinüber in ihr neues Zimmer. Was für ein aufregender Tag. Der Beginn eines neuen Lebens. Und dann dieser Robert… Verdammt, ich muss aufhören, über ihn nachzudenken, Katie hat schon recht: Es würde nur Probleme geben, wenn sie sich in ihn verliebte.
Obwohl es schon spät war, war sie noch nicht richtig müde. Sie hatte kein Licht angemacht, nur im Flur brannte es, weil sie
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