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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Autoren: Heinrich Mann
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einzige Seite fertiggebracht, die Unrat mit schnell wachsender Entrüstung zur Kenntnis nahm. Es stand dort:
    »Die dritte Bitte des Dauphins (›Jungfrau von Orleans‹ I, 10).
    Die junge Johanna führt sich, geschickter als ihre Jahre und ihre bäurische Vergangenheit es vermuten ließen, durch ein Taschenspielerkunststück bei Hofe ein. Sie gibt dem Dauphin einen Inhaltsauszug aus den drei Bitten, die er in der letzten Nacht an den Himmel gerichtet hat, und macht durch ihre Fertigkeit im Gedankenlesen natürlich starken Eindruck auf die unwissenden großen Herren. Ich sagte: aus den drei Bitten; aber tatsächlich wiederholt sie nur zwei: die dritte erläßt ihr der überzeugte Dauphin. Zu ihrem Glück: denn sie würde die dritte schwerlich noch gewußt haben. Sie hat ihm bei den beiden ersten ja schon alles gesagt, worum er seinen Gott gebeten haben
kann,
nämlich: wenn eine noch ungebüßte Schuld seiner Väter vorhanden sei, ihn selbst als Opfer anzunehmen statt seines Volkes; und wenn er schon Land und Krone verlieren solle, ihm wenigstens Zufriedenheit, seinen Freund und seine Geliebte zu lassen. Auf das Wichtigste, auf die Herrschaft, hat er somit schon verzichtet. Was soll er also noch erbeten haben? Suchen wir nicht lange: er weiß es selbst nicht. Johanna weiß es auch nicht. Schiller weiß es auch nicht. Der Dichter hat von dem, was er wußte, nichts zurückbehalten und dennoch ›und so weiter‹ gesagt. Das ist das ganze Geheimnis, und für den mit der wenig bedenklichen Natur des Künstlers einigermaßen Vertrauten gibt es dabei nichts zu verwundern.«
    Punktum. Das war alles – und Unrat, den ein Zittern beschlich, kam jäh zu der Erkenntnis:
diesen
Schüler zu beseitigen, vor
diesem
Ansteckungsstoff die menschliche Gesellschaft zu behüten, das dränge weit mehr als die Entfernung des einfältigen von Ertzum. Zugleich warf er einen Blick auf das folgende Blatt, wo noch einiges gekritzelt stand und das übrigens halb herausgerissen im Heft hing. Aber plötzlich, in dem Augenblick, als er verstand, überflog etwas wie eine rosa Wolke die gewinkelten Wangen des Lehrers. Er schloß das Heft, rasch und verstohlen, als wolle er nichts gesehen haben; öffnete es nochmals, warf es gleich wieder unter die beiden andern, atmete im Kampf. Er empfand zwingend: da wurde es Zeit, der mußte »gefaßt« werden! Ein Mensch, mit dem es dahin gekommen war, daß er diese – gewiß denn freilich – Künstlerin Rosa – Rosa – Er griff zum drittenmal nach Lohmanns Heft. Da klingelte es schon.
    »Abliefern!« stieß Unrat aus, in der heftigen Besorgnis, ein Schüler, der bisher nicht fertig geworden war, könne vielleicht im letzten Augenblick noch zu einer befriedigenden Note gelangen. Der Primus sammelte die Aufsätze ein; einige belagerten die Tür nach der Garderobe.
    »Weg dort! Warten!« rief Unrat, in neuer Angst. Am liebsten hätte er abgeschlossen, die drei Elenden unter Verschluß behalten, so lange, bis er ihren Untergang gesichert haben würde. Das ging nicht so rasch, hier mußte logisch nachgedacht werden. Der Fall Lohmann blendete ihn vorläufig noch durch ein Übermaß von Verworfenheit.
    Mehrere von den Kleinsten pflanzten sich in beleidigtem Rechtsgefühl vor das Katheder hin.
    »Unsere Sachen, Herr Professor!«
    Unrat mußte das »Kabuff« freigeben. Aus dem Gedränge wickelten sich nacheinander die drei Verbannten, schon in ihren Mänteln. Lohmann stellte gleich von der Schwelle her fest, daß sein Heft in den Händen Unrats sei, und bedauerte gelangweilt den Übereifer des alten Tölpels. Jetzt mußte sich möglichenfalls sein Erzeuger in Bewegung setzen und mit dem Direktor reden!
    Von Ertzum zog nur die rotblonden Brauen ein Stück höher in seinem Gesicht, das sein Freund Lohmann den »besoffenen Mond« nannte. Kieselack seinerseits hatte sich im »Kabuff« auf eine Verteidigung vorbereitet.
    »Herr Professor, es ist nicht wahr, ich hab nicht gesagt, daß es nach Unrat riecht. Ich habe nur gesagt,
er
sagt immer –«
    »Schweigen Sie!« herrschte Unrat, bebend, ihn an. Er schob den Hals vor und zurück, hatte sich gefaßt und setzte gedämpft hinzu: »Ihr Schicksal hängt jetzt nunmehr immerhin ganz dicht über Ihren Köpfen. Gehen Sie!«
    Darauf gingen die drei zum Essen, jeder mit seinem Schicksal über sich.

II
    Auch Unrat aß, und dann legte er sich auf das Sofa. Aber wie es alle Tage ging, warf im rechten Moment, als er einnicken wollte, nebenan seine Haushälterin ein Geschirr
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