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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
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nicht geleistet hast, doch längst im Herzen geleistet und fühlst dich durch ihn für immer verpflichtet? Bist du denn nicht meinesgleichen?«
    »Nein, Goldmund, ich bin nicht deinesgleichen, nicht so wie du glaubst. Wohl halte auch ich ein ungesprochenes Gelübde, darin hast du recht. Aber deinesgleichen bin ich keineswegs. Ich sage dir heut ein Wort, an das wirst du einmal denken. Ich sage dir: unsere Freundschaft hat überhaupt kein anderes Ziel und keinen anderen Sinn, als dir zu zeigen, wie vollkommen ungleich du mir bist!«
    Betroffen blieb Goldmund stehen; Narziß hatte mit dem Blick und Ton gesprochen, dem nicht zu widerstehen war. Er schwieg. Aber warum sagte Narziß solche Worte?
    Warum sollte Narzissens ungesprochenes Gelübde heiliger sein als seines? Nahm er ihn überhaupt nicht ernst, sah er bloß ein Kind in ihm? Die Verwirrungen und Traurigkeiten dieser sonderbaren Freundschaft begannen von neuem.
    Narziß war nicht mehr im Zweifel über die Natur von Goldmunds Geheimnis. Es war Eva, es war die Urmutter, die dahinterstand. Wie aber war es möglich, daß in einem so schönen, so gesunden, so blühenden Jüngling das erwachende Geschlecht auf so erbitterte Feindschaft stieß? Es mußte ein Dämon am Werke gewesen sein, ein heimlicher Feind, dem es gelungen war, diesen herrlichen Menschen in sich zu spalten und mit seinen Urtrieben zu entzweien.
    Gut, der Dämon mußte gefunden, mußte beschworen und sichtbar gemacht werden, dann war er zu besiegen.
    Inzwischen war Goldmund von den Kameraden mehr und mehr gemieden und im Stich gelassen worden, vielmehr sie fühlten sich von ihm im Stich gelassen und gewissermaßen verraten. Niemand sah seine Freundschaft mit Narziß gerne. Die Hämischen brachten sie als naturwidrig in Verruf, namentlich jene, welche selbst in einen der beiden Jünglinge verliebt gewesen waren. Aber auch die andern, denen es einleuchtete, daß hier kein Laster zu beargwöhnen sei, schüttelten die Köpfe. Niemand gönnte diese beiden Menschen einander; durch ihren Zusammenschluß hatten sie, so schien es, sich hochmütig als Aristokraten von den andern abgesondert, die ihnen nicht gut genug waren; das war nicht kollegial, war nicht klösterlich, war nicht christlich.
    Dem Abt Daniel kam manches über die beiden zu Ohren, Gerüchte, Anklagen, Verleumdungen. Viele Jünglings freundschaften hatte er in mehr, als vierzig Jahren Klosterlebens mit angesehen, sie gehörten ins Bild des Klosters, sie waren eine hübsche Zugabe, waren zuweilen ein Spaß, waren zuweilen eine Gefahr. Er hielt sich zurück, er hielt die Augen offen, ohne sich einzumischen. Eine Freundschaft von solcher Heftigkei t und Ausschließlichkeit war etwas Seltenes, sie war ohne Zweifel etwas nicht Ungefährliches; aber da er an ihrer Reinheit keinen Augenblick zweifelte, ließ er der Sache ihren Lauf. Wäre Narziß nicht in einer Ausnahme-Stellung zwischen Schülern und Lehrern gewesen, so hätte der Abt nicht gezögert, einige trennende Verordnungen zwischen die beiden zu legen. Es war für Goldmund nicht gut, daß er sich von den Mitschülern zurückzog und einzig mit einem Älteren, einem Lehrer, nahen Umgang pflegte. Aber durfte man Narziß, den Ungewöhnlichen, Hochbegabten, den von allen Lehrern als geistig ihresgleichen, ja als überlegen Betrachteten, in seiner bevorzugten Laufbahn stören und der Lehrtätigkeit wieder entheben? Hätte Narziß sich als Lehrer nicht bewährt, hätte seine Freundschaft ihn zu Nachlässigkeit und Parteilichkeit verführt, er hätte ihn sofort abberufen. Aber es lag nichts gegen ihn vor, nichts als Gerüchte, nichts als eifersüchtiges Mißtrauen der andern. Außerdem wußte der Abt von Narzissens besonderen Gaben, von seiner merkwürdig eindringenden, vielleicht etwas anmaßenden Menschenkenntnis. Er überschätzte solche Gaben nicht, andere Gaben wären ihm an Narziß willkommener gewesen; aber er zweifelte nicht, daß Narziß an dem Schüler Goldmund Besonderes wahrgenommen habe und ihn weit besser kenne, als er oder irgendein anderer ihn kannte.
    Ihm selbst, dem Abt, war an Goldmund außer der gewinnenden Anmut seines Wesens nichts anderes aufgefallen als ein gewisser verfrühter, sogar etwas altkluger Eifer, mit dem er schon jetzt, als bloßer Schüler und Gast, sich im Kloster als zugehörig und schon beinahe als Mitbruder zu fühlen schien. Daß Narziß diesen rührenden, aber unreifen Eifer begünstigen und noch mehr anstacheln werde, glaubte er nicht befürchten zu müssen. Zu
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