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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
Autoren: Pascal Mercier
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war er bis auf den letzten Platz belegt, und an der Seite saßen Studenten auf dem Boden.
    Ich haßte diese Person, das lange, schwarze Haar, den wiegenden Gang, den kurzen Rock. Adriana hatte sie als Mädchen von Mitte zwanzig gesehen. Die Frau, die jetzt hereinkam, war Ende fünfzig. Er sah ihre leuchtenden Augen vor sich, den ungewöhnlichen, fast asiatischen Teint, das ansteckende, mitreißende Lachen, den wiegenden Gang, und er wollte einfach nicht, daß das alles erlosch, er konnte es nicht wollen , hatte João Eça über Prado gesagt.
    Niemand konnte das wollen, dachte Gregorius. Auch heute nicht. Und ganz besonders dann nicht, wenn er sie sprechen hörte. Sie hatte eine dunkle, rauchige Altstimme und sprach die harten spanischen Wörter mit einem Rest von portugiesischer Sanftheit aus. Gleich zu Beginn hatte sie das Mikrophon abgeschaltet. Es war eine Stimme, die eine Kathedrale füllen würde. Und ein Blick, der einen hoffen ließ, die Vorlesung möge niemals enden.
    Von dem, was sie sagte, verstand Gregorius kaum etwas. Er hörte ihr zu wie einem Musikinstrument, manchmal mit geschlossenen Augen, manchmal den Blick auf ihre Gesten konzentriert: die Hand, die das graumelierte Haar aus der Stirn strich, die andere Hand, die einen silbernen Stift hielt und bei betonten Dingen eine unterstreichende Linie in die Luft zeichnete, der Ellbogen, mit dem sie sich aufs Pult stützte, die beiden gestreckten Arme, mit denen sie, wenn sie zu etwas Neuem ansetzte, das Pult umfaßte. Ein Mädchen, das ursprünglich bei der Post gearbeitet hatte, ein Mädchen mit einem phänomenalen Gedächtnis, in dem alle Geheimnisse des Widerstands aufbewahrt waren, die Frau, der es nicht gefiel, wenn O’Kelly sie auf der Straße um die Taille faßte, die Frau, die sich vor dem blauen Haus ans Steuer gesetzt hatte und um ihr Leben gefahren war, bis ans Ende der Welt, die Frau, die sich von Prado nicht hatte auf seine Reise mitnehmen lassen, eine Enttäuschung und Zurücksetzung, die in ihm die größte und schmerzlichste Wachheit seines Lebens hervorgerufen hatte, das Bewußtsein, das Rennen um seine Seligkeit endgültig verloren zu haben, das Gefühl, daß sein glühend begonnenes Leben verlosch und zu Asche zerfiel.
    Die Stöße der aufstehenden Studenten ließen Gregorius aufschrecken. Estefânia Espinhosa packte ihre Unterlagen in die Mappe und kam die Stufen vom Podium herunter. Studenten traten auf sie zu. Gregorius ging hinaus und wartete.
    Er hatte sich so hingestellt, daß er sie von weitem würde kommen sehen. Um dann zu entscheiden, ob er sie ansprach. Jetzt kam sie, von einer Frau begleitet, zu der sie wie zu einer Assistentin sprach. Gregorius klopfte das Herz bis zum Hals, als sie an ihm vorüberging. Er folgte den beiden eine Treppe hinauf und durch einen langen Gang. Die Assistentin verabschiedete sich, und Estefânia Espinhosa verschwand in einer Tür. Gregorius ging an der Tür vorbei und sah ihren Namen. Der Name konnte ihr nicht genügen .
    Langsam ging er zurück und hielt sich am Treppengeländer fest. Unten an der Treppe blieb er einen Moment stehen. Dann rannte er die Stufen wieder hoch. Er wartete, bis der Atem ruhiger wurde, dann klopfte er.
    Sie hatte einen Mantel an und war im Begriff gewesen zu gehen. Sie sah ihn fragend an.
    »Ich… kann ich mit Ihnen Französisch reden?« fragte Gregorius.
    Sie nickte.
    Stockend stellte er sich vor und holte dann, wie so oft in dieser Zeit, Prados Buch hervor.
    Ihre hellbraunen Augen verengten sich, sie starrte auf das Buch, ohne die Hand danach auszustrecken. Die Sekunden verrannen.
    »Ich… Warum… Kommen Sie erst einmal herein.«
    Sie ging zum Telefon und sagte auf portugiesisch zu jemandem, daß sie jetzt nicht kommen könne. Dann zog sie den Mantel aus. Sie bat Gregorius, sich zu setzen, und zündete eine Zigarette an.
    »Steht etwas über mich dort drin?« fragte sie und atmete Rauch aus.
    Gregorius schüttelte den Kopf.
    »Woher wissen Sie dann von mir?«
    Gregorius erzählte. Von Adriana und João Eça. Vom Buch über das finstere Meer, in dem Prado bis zuletzt gelesen hatte. Von den Recherchen des Antiquars. Vom Klappentext auf ihren Büchern. O’Kelly erwähnte er nicht. Auch von der handschriftlichen Aufzeichnung mit den kleinen Buchstaben sagte er nichts.
    Jetzt wollte sie das Buch sehen. Sie las. Sie zündete eine neue Zigarette an. Dann betrachtete sie das Portrait.
    »So also sah er früher aus. Ich habe nie ein Bild aus dieser Zeit gesehen.«
    Er habe
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