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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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lehnte Tonis Ouzo ab und trank stattdessen einen
extrastarken griechischen Kaffee. Er orderte die Rechnung, die wie immer ein
Toni-typischer Schätzwert war, der weit unter den Preisen auf der Speisekarte
lag.
    Gerhard sah auf die Uhr über Tonis Küchentür. Es war
noch früh am Abend, und ältere Leute schliefen doch sowieso wenig. Er hatte das
Gefühl, diese Frau Jocher sprechen zu müssen.
    »Leihst du mir dein Auto?«, fragte Gerhard.
    »Klar«, sagte Toni und warf ihm den BMW -Schlüssel zu.
    Na, das war doch mal ein anderes Fahrgefühl als mit
dem alten Bus! In der Hohenwarter Kurve quietschten die Reifen und übertönten
das Geheule von Tonis Griechensound. Gerhard drückte so richtig drauf und jagte
regelrecht über die Umgehung und wurde erst innerorts langsamer, als diese formschöne
evangelische Betonkirche auftauchte. Langsam fuhr er durch das Stadttor und
überlegte einmal mehr, wie hübsch dieses Schongau eigentlich war, wie nett es
sein müsste, mal vor dem Ballenhaus in der Sonne zu sitzen – wenn man denn Zeit
hätte. Im Heilig-Kreuz-Altersheim löste er zwar eine gewisse Verwunderung aus,
dass er jetzt noch zu Frau Amalie Jocher wollte, aber man ließ in zu ihr.
    Frau Jocher hatte ein Zimmer im Erdgeschoss, dessen
kleine Terrasse in eine Wiese überging, die ihrerseits an der Stadtmauer
endete. Eigentlich echt romantisch.
    »Da haben Sie es aber schön«, sagte Gerhard deshalb
auch, nachdem er sich vorgestellt hatte und erklärt hatte, weswegen er hier
war.
    »Papperlapapp. Lauter alte Leute um mich herum.«
    »Aber das Zimmer ist doch hübsch.«
    »Nonsens. In der Kirchstraße hatte ich eine schöne
Wohnung. Mit meinem Mann, Joschi Jocher. Lustiger Name, nicht wahr? Ist schon
vor zwanzig Jahren gestorben, der Gute. War immer ein bisschen indolent.«
    »Aber Essen müssen Sie sich jetzt keins mehr kochen.«
Gerhard kam sich ziemlich dämlich vor, aber Altersheime bedrückten ihn einfach.
    »Hab ich sowieso nicht mehr gemacht, seit der Bub
gestorben ist. Ich brauch nicht so viel. Ab und zu bin ich in die Blaue Traube
oder in diesen kleinen Biergarten an der Mauer. Heißt jetzt Garibaldi.«
    »Der Bub?«
    »Ja, mein Sohn. Er ist mit einundsiebzig im Frühjahr
2002 gestorben. Ja nun, er war immer ein Problembub. Stirbt vor der Mutter.«
    Gerhard musste grinsen. Na, diese Dame war eine echte
Marke, und sie war vierundneunzig, wie er in Erfahrung gebracht hatte. Er
lächelte sie an. »Und dann hat Ihnen die Jacky eine Weile geholfen?«
    »Ja, oder ich ihr.«
    »Wie muss ich das verstehen?«
    »Sehen Sie, das Mädchen hat doch die Stelle in der
Apotheke verloren, und da habe ich mich ihrer etwas angenommen. Ich habe ihr
angeboten, bei mir zu wohnen, bis sie etwas anderes gefunden hat.«
    Frau Jocher hatte einen ganz reizenden
Von-drieben-rieber-Akzent, und Gerhard begann Spaß an dieser Unterhaltung zu
bekommen. »Aber woher kannten Sie Jacky überhaupt?«
    »Junger Mann, von der Apotheke natürlich.«
    »Entschuldigen Sie, Frau Jocher. Aber die Apotheke war
in Peißenberg.« Gerhard runzelte die Stirn.
    »Eben. Mir haben die Apotheken in Schongau und Peiting
nicht gefallen. Die Bahnhofsapotheke schon. Und in Peißenberg wohnt auch meine
letzte Freundin. Alle anderen sind längst verstorben.«
    »Und wie sind Sie da hingekommen?«
    »Mit dem Bus oder dem Rad, junger Mann.«
    »Rad? Bis Peißenberg?«
    »Ja, was meinen denn Sie? Glauben Sie, wir wurden auf
Sänften getragen, als wir aus dem Egerland vertrieben wurden? Und was glauben
Sie, wie ich zu meiner ersten Arbeitsstelle von Steingaden nach Schongau kam?
Mit dem Rad.«
    »Respekt!«
    »Papperlapapp. Das waren andere Zeiten.«
    Von dieser kleinen, zierlichen Frau ging eine solche
Ruhe und Kraft aus, dass Gerhard sich auf einmal so viel besser fühlte als all
die verkorksten Tage zuvor. »Und die Jacky? Wie kamen Sie mit ihr ins
Gespräch?«, fragte er.
    »Ich kannte sie von der Apotheke. Dann sah ich sie
einmal an der Bushaltestelle. Sie hatte geweint wegen der Kündigung. Und bei
mir war ja Platz. Und einsam war es auch, weil der Bub ja weg war.«
    »Und wie ging das dann weiter?«
    »Ach, ich habe sie in Ruhe gelassen. Das Mädchen war
ein ganz armes Luder. Aus der alten Heimat herausgerissen. Ich weiß, wie das
ist. Die Mutter war kalt, sie fand da keine Wärme. Das Mädchen hatte überhaupt
kein Selbstvertrauen, dabei war sie hübsch und gar nicht dumm.«
    »Sie war sehr oft in der Nacht unterwegs, habe ich
gehört«, meinte Gerhard.
    »So«,
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