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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche
Autoren: Kuhn Kuhn
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sogenannte Hinweise aus der Bevölkerung ein.
    Als Erstes ruft einer an, als Noldi gerade die Post holen will. Ein Mann am anderen Ende sagt, er hätte eine wichtige Mitteilung zu machen. Am Donnerstag sei er mit dem Mountainbike unterwegs gewesen und im Wald einer Frau begegnet, die er noch nie zuvor dort gesehen habe.
    Noldi erkundigt sich, wo genau das gewesen sei. Die Stelle ist weit vom Fundort entfernt. Außerdem lag die Leiche zu dieser Zeit schon in den Brombeeren. Er lässt sich die Personalien des Mannes geben und erinnert sich an ihn. Es ist ein chronisch Arbeitsloser, der ständig mit allen möglichen Tricks versucht, an Geld zu kommen.
    Tatsächlich erkundigt sich der Anrufer sogleich, ob es eine Belohnung gebe.
    »Bis jetzt noch nicht«, sagt Noldi und legt auf. Er geht vor die Tür, um die Post aus dem Briefkasten zu nehmen. Da sieht er in der Einfahrt jemanden stehen, der unschlüssig von einem Fuß auf den anderen steigt. Er nähert sich ihm vorsichtig, um ihn nicht zu verscheuchen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt er.
    Es ist ein kleiner, abgezehrter Mann um die fünfzig, ein Asylwerber, der mit seinen paar Brocken Deutsch herauszufinden sucht, um wen es sich bei der Toten im Wald handelt.
    Noldi sagt freundlich: »Kommen Sie ins Büro!«, bietet ihm dort einen Stuhl an.
    Der andere hat sichtlich Angst. Er folgt ihm nur zögernd, hinsetzen will er sich auf keinen Fall. So steht er da, knetet seine Hände und ringt um Worte.
    Es dauert eine geraume Weile, bis Noldi aus dem Mann schlau wird.
    Er berichtet, er sei zu einer Prostituierten gegangen.
    Gute, gute Frau. So drückt er sich aus, weil er nicht weiß, wie er es sonst sagen soll. Sie hatten es schön und sie sagt, bald wiederkommen. Von dem Moment denkt er an nichts anderes mehr als an diese Frau. Schon nach zwei Tagen kratzt er sein letztes Geld zusammen, will wieder zu ihr. Doch sie ist weg. Nicht mehr da, und keiner weiß, wo sie ist.
    Den hat es erwischt, denkt Noldi, der muss grausam verliebt sein, wenn er sogar zur Polizei kommt, um die Frau wieder zu finden. Im Allgemeinen meiden Asylwerber die Polizei wie der Teufel das Weihwasser.
    »Der Täter?«, fragt sich Noldi. Er mustert ihn genauer. Die scharfen Falten in dem hageren Gesicht erzählen von einem schweren Leben.
    Immerhin könnte der Hinweis eine brauchbare Spur sein. Doch nach der Beschreibung, welche er dem Mann mit viel Geduld entlockt, ist die Frau nicht älter als zwanzig.
    Als Noldi ihn um seinen Ausweis bittet, sieht es so aus, als würde der Mann davonlaufen. Noldi versucht ihn zu beruhigen, sagt, die Frau würde bestimmt wieder auftauchen. Er verspricht ihm, sich zu melden, sobald er etwas herausfindet.
    Der Mann schaut ihn lange an. Er glaubt ihm nicht. Noldi kann es an seinen Augen erkennen. Er lässt ihn gehen, beobachtet ihn, wie er leicht gebückt durch die Tür verschwindet. Nur zögernd schließt er sie hinter sich.
    »Trotzdem«, sagt sich Noldi, »war dieser Hinweis nicht vergebens.« Der Mann hat ihn auf eine Idee gebracht.
    Er weiß, dass in seiner Gemeinde und in der ganzen Nachbarschaft niemand als vermisst gemeldet ist, auf den die Beschreibung der Toten nur annähernd passt. Das heißt, ihr Verschwinden wurde nicht gemeldet. Ist sie Ausländerin? Eine Illegale? Ist es möglich, dass sie aus dem Puff in Kollbrunn kommt? So wie sie aussah, wohl kaum. Aber, denkt er, das muss er überprüfen.
    Er setzt sich an den Computer, um sich die Website des Hotels Pamplona anzusehen. Vielleicht, denkt er, haben sie Fotos von den Frauen im Internet, und staunt nicht schlecht, was er da alles findet. Das als Hotel getarnte Bordell bietet Wohnungen an, Studios, Zimmer, vermerkt eine Waschküche mit zwei Waschmaschinen und zwei Tumblern. Alle Stockwerke, heißt es extra, sind rollstuhlgängig. Im Parterre gibt es den Cabaret-Betrieb und Tabledance. Als er allerdings die Fotos der Mädchen ansehen will, steht da, die Bilder der Künstlerinnen, ha, Künstlerinnen, denkt Noldi, sind, um deren Anonymität zu schützen, nur im Member-Bereich zugänglich. Login und Passwort gebe es ausschließlich für Gäste persönlich an der Bar.
    Noldi seufzt. Dann muss er selbst dort vorbeischauen, denkt er. Vielleicht hat er bis dahin schon ein Bild von der Toten, das er zeigen kann.
    Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schaut sich um. Alles scheint wie immer: schäbig, staubig und vertraut. Er fragt sich für einen Augenblick, ob die Ereignisse vom frühen Morgen Wirklichkeit seien.
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