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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte
Autoren: Breuer
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diesen Worten lehnte Lorenz sich zurück, schloss die Augen und überließ sich der Ärztin und seinem Schicksal. Er ließ Kommissar Wollbrand fieberhaft nachdenken, wie er diese gefährliche Situation zu meistern gedachte. Es schien sowohl dem Kommissar als auch Lorenz, dass der einzige Weg zur Lösung der Situation war, die Blutabnahme geschehen zu lassen. Er spürte, wie das Desinfektionsspray seine Armbeuge kühlte, und hörte die Ansage: »Jetzt gibt es einen kleinen Pieks.« Lorenz wollte entgegnen, wie albern diese Vorwarnung sei, doch sein Mund fühlte sich plötzlich zu trocken an, um etwas zu sagen. Dann spürte er das Eindringen der Nadel. Von der Einstichstelle ging ein unangenehmes Ziehen durch seinen Arm, welches sich dann in den ganzen Körper fortpflanzte. Geduldig wartete er mit geschlossenen Augen auf das Ende der Prozedur. Nach ein paar Sekunden vernahm er erneut ein »hm«. Lorenz öffnete die Augen und sah, dass sich das Röhrchen noch mit keinem Tropfen Blut gefüllt hatte. »Da will nichts kommen«, kommentierte die Ärztin.
    Lorenz versuchte ein Grinsen und meinte: »Haben Sie denn ernsthaft erwartet, in diesen alten Adern würde noch Blut fließen?« Dann wollte er noch etwas sagen, doch jener ziehende Schmerz hatte irgendwie den Weg von der Armbeuge bis hinter seine Stirn gefunden. Es wurde dem Alten schwarz vor Augen. Er spürte noch, wie er die Körperspannung und den Kontakt zur Sitzfläche des Stuhles zu verlieren begann. Dann schwanden ihm die Sinne.
    Als Lorenz wieder zu sich kam und die Augen öffnete, sah er in das Gesicht von Benny Bethge. Der junge Pfleger setzte ein schelmisches Grinsen auf. »Na, wer hat da zuerst schlappgemacht – Opa Bertold oder Kommissar Wollbrand?«
    »Ist es vollbracht?«, antwortete der Alte matt. »Im Himmel kann ich wohl kaum gelandet sein, wenn dein Frätzchen das Erste ist, was ich sehe.«
    Bennys Grinsen wurde breiter. »Alles klar, Frau Doktor«, sagte er. »Opa Bertold ist völlig in Ordnung.«
    Lorenz richtete sich auf, und mit der Hilfe des Pflegers stand er bald wieder auf seinen Beinen, wenn auch noch etwas unsicher. Die Ärztin wies auf die leere Spritze. »Wenn Sie sich gut fühlen, erholen Sie sich noch eine Minute, und dann versuchen wir es noch einmal.«
    »Junge Frau«, erwiderte der Alte und hob seine Stimme an. »Ich weiß nicht, was Sie während meiner Bewusstlosigkeit alles mit mir versucht haben, aber falls Sie das meinen, was ich noch mitbekommen habe: Denken Sie nicht mal dran! Ich gehe jetzt frühstücken. Meine Körpersäfte stehen Ihnen heute nicht zur Verfügung. Was zu beweisen war.« Zu Benny gewandt sagte er: »Junge, gib mir meinen Stock und geleite mich aus diesem Höllenlaboratorium. Das Syndikat muss ohne meine DNA auskommen.«
    Er warf Doktor Ziany noch einen grimmigen Blick zu, den der junge Pfleger mit einem Grinsen begleitete. Dann waren die beiden hinaus und ließen – nicht zum ersten Male – eine ratlose und frustrierte Medizinerin zurück. Benny konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen. »Tut mir leid, Opa Bertold, aber du bist ein wirklich schräger Vogel. Die arme Zyankali.«
    »Einen armen Arzt habe ich in fünfundsiebzig Jahren Patientendasein noch nicht getroffen«, entgegnete Lorenz. »Warum studierst du nicht auch Medizin?«
    »Willst du mich loswerden?«, fragte Benny zurück. »Die Büffelei bis zum Abi hat mir echt gereicht. Hier gefällt es mir. Zumindest solange Kommissar Wollbrand in der Eifel ermittelt.«
    Der Alte lächelte still vor sich hin, während sie dem Speisesaal der Seniorenresidenz Burgblick entgegenstrebten. Er wusste sehr wohl, dass alles Menschliche endlich war, doch warum sollte er das dem jungen Mann an diesem sonnigen Morgen erläutern? Mochte er dies selbst im Laufe eines hoffentlich langen und erfüllten Lebens herausfinden.
    Im Frühstücksraum herrschte bereits reger Betrieb. Lorenz raunte: »Wenn der in Ehren ergraute Ermittler noch einen Beweis für das Massenphänomen der senilen Bettflucht gebraucht hatte, so lag er hier vor seinen Augen.«
    Dann suchte er in der Masse der speisenden Senioren nach seinen Freunden. Das kupferfarbene Haar Bärbel Müllenmeisters leuchtete ihm von einem Tisch entgegen, der nah am Panoramafenster stand und während des Frühstücks einen schönen Ausblick auf den hauseigenen Park ermöglichte. Bärbel erhob sich, als Lorenz und Benny herangekommen waren.
    »Bitte behalten Sie doch Platz, Gnädigste«, lächelte Lorenz, der wieder einmal
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