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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman
Autoren: dtv
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schluckte und bemühte mich, meine Aufregung niederzukämpfen, während ich eilig hinter Siebendt herstöckelte.
    Philip Steffen Siebendt führte die Herren und mich durch den ganzen Betrieb, einschließlich Kühlhaus. Geschlachtet wurde hier natürlich nicht, denn die Firma Siebendt GmbH war ein Großhändler, kein Produzent, aber das Kühlhaus war beeindruckend. Nur fertig abgepacktes Fleisch wurde hier gelagert und kommissioniert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trugen rote Daunenjacken mit Firmenlogo sowie Mützen und Handschuhe, während ich in meinen dünnen Strümpfen und den Pumps fror, was das Zeug hielt. Ich hätte mich über einen Tipp von Siebendt gefreut, bevor wir die Herren am Empfang abholen gingen, dann hätte ich meine Winterjacke gar nicht erst auf den Kleiderständer im Büro gehängt, aber der Juniorchef hatte wohl nicht daran gedacht, weil er selbst nicht fror. Seine Unempfindlichkeit gegen die Temperatur nahe dem Gefrierpunkt veranlasste auch einen der Besucher zu einer entsprechenden Bemerkung.
    Siebendt lachte. »Wissen Sie, ich habe an Silvester an der berühmten Frozen-Trousers-Segel-Regatta rund um Helgoland teilgenommen, das war kalt. Dagegen ist unser Kühlhaus der Vorraum einer finnischen Sauna.«
    Ich hoffte, dass meine Lippen nicht vor Kälte aufplatzten, als ich seine Bemerkung mit einem breiten Lächeln quittierte.
    Nach nur zwei Stunden wäre ich bereit gewesen, mein gesamtes erstes Monatsgehalt für ein paar flache Schuhe zu geben. Um elf Uhr konnte ich dann endlich vom Klo aus Svenja anrufen.
    »Kannst du mir meine blauen Schuhe mit den flachen Absätzen in die Firma bringen?«
    Svenja lachte.
    »Gib sie beim Pförtner ab. Spätestens um zwölf, sonst überstehe ich den Tag nicht«, jammerte ich.
    »Wird erledigt«, versprach sie. Ich dankte ihr im Stillen dafür, dass sie auf ein mehr als berechtigtes ›Hab ich’s dir doch gesagt‹ verzichtete, denn noch vor wenigen Stunden hatte Svenja mein Schuhwerk mit einem halb ungläubigen, halb entsetzten Blick betrachtet und für eine zweifellos angemessene Bemerkung Luft geholt, die ich mir allerdings mit einer genervten Geste verbeten hatte. Dann war ich stolz wie Oskar und vorsichtig wie ein Fakir auf dem Nagelbrett zur Tür hinausgestöckelt.
    »Hier ist ein Paket für Sie«, rief Josef, als ich nach der Mittagspause bei ihm vorbeischaute. »Muss nur kurz in mein Büro«, hatte ich Siebendt nach dem Dessert in der Kantine zugeraunt und seine hochgezogenen Augenbrauen mit einer laienhaften Pantomime beantwortet, die einen Interpretationsspielraum vom Nachziehen des Lippenstifts bis zum Verschließen der Lippen mittels eines imaginären Reißverschlusses zuließ. Er hatte irritiert geschaut, dann aber gnädig genickt.
    »Was ist denn mit Ihnen los, Kindchen?«, fragte Josef gleich darauf, als er mein Hinken und die Tränen im Augenwinkel bemerkte.
    »Endlich«, quetschte ich hervor und stieg aus den Pumps.
    »Ach so.« Sein besorgter Gesichtsausdruck wechselte zu gutmütigem Spott. »Das hätte mich auch gewundert, wennSie das überstehen. Der gnädige Herr hat Sie wohl nicht vorgewarnt, was?«
    Ich blickte in den Karton, den Svenja als neutrales Kurierstück getarnt hatte, und hätte vor lauter Dankbarkeit fast noch mehr Tränen verdrückt. Eine Großpackung Blasenpflaster und eine Tafel Bitterschokolade lagen neben meinen alten Schuhen. »Halt durch!«, stand auf einem Zettelchen, das im linken Treter steckte.
    Auch Josef hatte es geschafft, einen Blick in den Karton zu erhaschen. Ein zahnlückiges Grinsen erhellte sein fülliges Gesicht.
    »Soll ich das hier aufbewahren?«, fragte er.
    Ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass er auf Frau Wildenroth anspielte, der es sicher eine großartige Genugtuung verschaffen würde, mich in meinen alten, flachen Latschen zu sehen. Ich wollte ihr lieber nicht in die Arme laufen, ging stattdessen in die Damentoilette, zog die Strumpfhose aus, versorgte meine blutenden Füße, wechselte die Schuhe, teilte die Schokolade mit Josef und ließ den gut verpackten Beweis meiner Schmach in der Pförtnerloge zurück in der Hoffnung, dem zuckenden Busen für den Rest des Tages aus dem Weg gehen zu können.
    Daniel verbrachte drei Tage in New York, zwei in Tokyo und drei in London, bevor er wieder in Düsseldorf landete. Ich erfuhr davon durch Svenja, die mir regelmäßig Grüße von ihm ausrichtete. Regelmäßig bedeutete zwei Mal täglich, nämlich morgens und abends.
    »Was läuft da
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