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MK Boeckelberg

MK Boeckelberg

Titel: MK Boeckelberg
Autoren: Arnold Kuesters
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Schiedsrichter«. Alexander hatte die Zähne zusammengebissen und auf dem langen Weg in die Kabine mit einer Hand Richtung Nordkurve gewunken. Aber geglaubt hatte er dem Mannschaftsarzt nicht.
    Als er sich damals dann in der Stille der grünweiß gestrichenen Kabine endlich beruhigt hatte und duschen gehen wollte, hatte er den Zettel in seinem Handtuch gefunden, das unter dem Rahmen mit seinem Foto ordentlich gefaltet auf seinem Platz gelegen hatte.
    Ihm wären fast die Beine weggeknickt, so unerwartet hatte ihn der Text getroffen. Er hatte sofort gewusst, dass es der Titel eines alten Schlagers war: Der Puppenspieler von Mexiko. Und er hatte genau gewusst, dass jemand sein Geheimnis kannte. Hastig hatte er den Zettel in seinen Kulturbeutel gestopft. Der Puppenspieler von Mexiko: Der Text war lebensgefährlich.
    Alexander Rauh war an den Duschen vorbei zum Entmüdungsbecken gegangen, hatte in den unaufgeräumten Räumen der Physio-Abteilung nachgesehen und an der abgeschlossenen Tür des Trainers gerüttelt. Aber er hatte niemanden gehört oder gesehen. Er hatte nur die mächtige Stimme des ausverkauften Stadions gehört: Ein dunkles, unablässig auf- und abschwellendes Raunen, das von den steilen Rängen bis in den Kabinentrakt wehte. Wie ein mystischer Singsang, der seinen Zuhörer unweigerlich immer tiefer in seinen Bann zog. Sonst war es still gewesen, bis auf das Tröpfeln aus den Duschköpfen.
    Der Zettel mit dem Text war zu einem ganz besonderen Zeitpunkt aufgetaucht. Er hatte erst wenige Tage zuvor vom Präsidium erfahren, dass »seine Zeit beim Verein mit Ende der Saison abgelaufen ist und er sich einen neuen Verein suchen« sollte.
    Fast elf Jahre hatte er sich für den Verein buchstäblich den Arsch aufgerissen, und dann hatten sie ihn einfach so vor die Tür setzen wollen. Was bildete Carstens sich ein? Dieser Möchtegern-Präsident hatte vom Fußball überhaupt keine Ahnung! Der größte Kartoffelbauer im Rheinland zu sein war nicht automatisch der Freibrief für die Führung des Clubs. Aber mit Geld konnte man in der Bundesliga offenbar jedes Amt kaufen.
    Nur mithilfe des Trainers und der guten Kontakte seines Beraters zur Presse hatte Alexander durchsetzen können, dass der Verein sich doch an den noch zwei Jahre laufenden Vertrag hielt. Dieses Einlenken war nicht mehr als das Ergebnis einer einfachen Rechnung gewesen: Der Verein hätte zuviel zahlen müssen bei vorzeitiger Auflösung des Vertrages.
    Das Präsidium hatte ihn seither regelrecht geschnitten. Alexander Rauh wusste mit einem Mal, dass er sein Zuhause verloren hatte. Der Verein war nicht mehr sein Verein.
    Mehr als diese bittere Erkenntnis hatte ihn die Angst vor Entdeckung verändert. Er war noch misstrauischer geworden als ohnehin schon. Hatte sich noch mehr in sich zurückgezogen, war kaum noch auf die Straße gegangen. Die Bundesliga war ohnehin kein Boden für Sensible, dass hatte Alexander schon in der Jugend gelernt. Wer nicht kämpfen wollte, egal mit welchen Mitteln, hatte keine Chance und verschwand spurlos aus der Fußballwelt. Und nun bedrohten diese Schreiben sein Leben.
    Über Wochen hatte er schlecht geschlafen, hatte gerätselt, wer sein Geheimnis entdeckt haben konnte. Dabei war er doch immer so vorsichtig gewesen! Nur ab und an hatte er die kleine Puppe mit zum Training genommen, oder zum Spiel. Es war immer riskant gewesen. Aber er hatte gewollt, dass sie dabei war. Immer hatte sie zuunterst in seiner Sporttasche gelegen. Sie war für ihn mehr als nur ein Talisman.
    Er hatte sie tatsächlich nur selten aus der Tasche genommen, hatte sie dann angesehen und immer ein bisschen gestreichelt. Manchmal hatte er ihr auch die Haare gekämmt. Hatte ihr auch mal die Kabine gezeigt. Aber immer nur, wenn er sicher war, ganz sicher war, alleine zu sein.
    Aber er war nicht alleine gewesen. Das wusste er nun. Alexander hatte Angst. Er hatte gedacht, dass nach dem letzten Zettel vielleicht doch endlich Ruhe sein würde.
    Alexander Rauh hatte alle Zettel verbrannt. Er hatte Angst, dass die gedruckten Worte sich auflösen und wie Säure durch den Stoff seiner Trainingstasche tropfen würden. Er hatte die Zettel kaum berühren können. Er wollte von ihnen nicht in jene graue und erstickende Welt hineingezogen werden, von der er geglaubt hatte, sie längst verlassen gehabt zu haben. Die harmlos erscheinenden Worte waren in Wahrheit unheilige Botschaften aus dem Jenseits jeder Vorstellungskraft.
    Auch der neue Brief musste weg. Möglichst
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