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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman
Autoren: Paula McLain
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Dachgesims und fraßen sich durch die Maulbeerblätter. Und das war das einzige Geräusch weit und breit. Kein Granatfeuer, nichts. Es war furchtbar.«
    »So habe ich mir Seidenraupen nicht vorgestellt. Vielleicht habe ich sie mir überhaupt noch nie richtig vorgestellt, aber jetzt kann ich sie genau so hören, wie du sie beschreibst.«
    »Wenn ich nicht einschlafen kann, bilde ich mir manchmal ein, ich höre sie kauen. Dann muss ich aufstehen, das Licht anmachen und zur Decke schauen.«
    »Und hast du schon einmal welche entdeckt?« Ich lächelte und versuchte, ihn ein wenig aufzuheitern.
    »Bisher nicht.«
    Wir wandten uns von den hell erleuchteten Geschäften ab und gingen zurück nach Hause – und mir kam in den Sinn, wie selten ein nahezu fremder Mensch einem etwas so Bedeutsames über sich selbst mitteilt. Und er erzählte es noch dazu auf so schöne und ehrlich empfundene Weise. Ich glaube, ich war ziemlich sprachlos. Wer war dieser Ernest Hemingway denn eigentlich?
    Plötzlich blieb er stehen und schaute mich an. »Hash, hör zu. Du läufst mir nicht davon, oder?«
    »Ich bin nicht besonders sportlich«, erwiderte ich.
    »Ich mag dein Rückgrat. Hatte ich das schon erwähnt?«
    »Hattest du.«
    »Dann mag ich es eben zum wiederholten Mal«, sagte er. Daraufhin lächelte er mich gewinnend an und lief weiter, wobei er meine behandschuhte Hand nahm und sie sich unter den Arm klemmte.
     
    Am nächsten Morgen kam Kate in mein Zimmer, ohne vorher anzuklopfen. Ich war noch nicht einmal angezogen und schaute sie in Erwartung ihres Ausbruches an.
    »Ich habe bis nach Mitternacht auf dich gewartet. Wo warst du?«
    »Tut mir leid. Ernest hat mich zum Essen eingeladen. Ich konnte nicht nein sagen.«
    »
Nein
ist das einfachste aller Wörter. Es ist eins der ersten Wörter, die jedes Kind lernt.«
    Ich zog den Gürtel meines Morgenmantels enger und setzte mich aufs Bett. »Na schön. Ich
wollte
nicht nein sagen. Es war nur ein Abendessen, Kate. Es ist nichts weiter passiert.«
    »Natürlich«, erwiderte sie, war aber offensichtlich immer noch aufgebracht. »Ich will dich doch nur beschützen und möchte nicht, dass du dich da in eine schlimme Sache verstrickst.«
    »Wieso schlimm? Er wirkt auf mich nicht wie ein schlechter Kerl.«
    »Er ist ja auch im Grunde nicht schlecht.« Ich sah, dass sie sich Mühe gab, ihre Worte sorgfältig zu wählen. »Er ist nur jung. Und er mag Frauen –
alle
Frauen, wie es scheint. Zuzusehen, wie du dich ihm an den Hals wirfst und ihm blind vertraust, bereitet mir eben Sorgen.«
    »Ich werfe mich niemandem an den Hals«, widersprach ich, und plötzlich stieg Wut in mir auf. »Also wirklich! Ich war doch nur mit dem Mann essen.«
    »Du hast recht, du hast ja recht«, beschwichtigte sie. »Ich habe wohl überreagiert.« Sie setzte sich neben mich aufs Bett und ergriff meine Hand. »Vergiss, dass ich etwas gesagt habe, in Ordnung? Du bist ein vernünftiges Mädchen. Du wirst schon wissen, was du tust.«
    »Es ist
nichts
passiert.«
    »Ich weiß. Ich bin schrecklich.« Sie rieb meine Hand in ihren Händen, und ich ließ sie gewähren, doch mir schwirrte der Kopf.
    »Das ist alles ein bisschen viel vor dem Frühstück«, erklärte ich.
    »Du armes Ding.« Sie stand auf, strich ihren Rock glatt und glättete dann auch ihren Gesichtsausdruck, während ich ihr dabei zusah, wie sie auf diese Weise alles ganz einfach in Ordnung brachte. Der Trick war beeindruckend. Ich wünschte mir, ich könnte das Gleiche tun.
     
    Den ganzen Morgen über war ich verwirrt und grübelte über Kates Worte nach. War Ernest wirklich jemand, vor dem man sich in Acht nehmen musste? Er schien so aufrichtig und zugewandt. Um Himmels willen, er hatte zugegeben, dass er Gedichte schrieb, und dann diese Geschichten, wie er an der Front verletzt wurde – und über die Seidenraupen! War das alles nur eine ausgefeilte Masche, um mich auszunutzen? Wenn Kate recht hatte und es tatsächlich so war, dann fiel ich gerade darauf rein und warf mich ihm wie ein dummes Landei an den Hals, wahrscheinlich als eine von vielen. Diesen Gedanken konnte ich kaum ertragen.
    »Vielleicht sollten wir verschwinden, bevor die anderen aufstehen«, schlug Kate vor, als wir unseren Kaffee ausgetrunkenhatten. »Ich habe heute den ganzen Tag frei. Was wollen wir machen? Uns sind keine Grenzen gesetzt.«
    »Entscheide du«, gab ich zurück. »Mir ist es eigentlich ganz egal.« Und das war es auch.
    Eine andere Frau hätte vielleicht an meiner Stelle
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