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Lesereise Sizilien

Lesereise Sizilien

Titel: Lesereise Sizilien
Autoren: Natalie John
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überschwemmen, kommen aus Taiwan oder Hongkong und werden maschinell gefertigt. An einer echten traditionellen, mit der Nadel gestickten Decke arbeiten sizilianische Frauen fast ein Jahr – und es gibt wohl nicht einmal so viele Frauen auf Sizilien, wie »echte sizilianische Handarbeit« angeboten wird. Doch wenn man ein Stück echter Handarbeit erwischt, sollte man zugreifen. So ein handgefertigtes Deckchen macht sogar aus jedem Ikea-Tisch einen echten Hingucker.

Die »mattanza« von Favignana
Blutige Thunfischjagd auf dem Meer
    Matteos muskulöse Arme sind bis zum Ellbogen hoch voll Blut. Seine Augen, so blaugrün wie das Meer an einem windstillen Tag, blitzen. Es war ein guter Tag. Fette Beute. Mit seinen sonnengebleichten Haaren und dem wilden Dreitagebart sieht er aus wie ein Beachboy aus Kalifornien, doch Matteo ist kein Wellenreiter, er ist Thunfischfänger in Favignana. In der vierten Generation. Wie die meisten. Voller Stolz zeigt er mir die Wände in seinem Haus, voll geklebt mit Erinnerungen. Vergilbte Fotos in Schwarz-Weiß. Besonders stolz ist er auf ein Bild, das seinen Vater neben einem dreihundert Kilo schweren Ungetüm zeigt. Die Anstrengung noch in sein sonnen- und windverknittertes Gesicht geschrieben, steht er mit einem Fuß auf der Beute und winkt in die Kamera. Nur wer Thunfischblut mit der Muttermilch aufgesogen hat, der macht diesen knochenharten Job heute noch, sagt Matteo. Früher war der Thunfischfang ein guter Brötchengeber, hundertfünfzig Männer waren während der zwei Wochen im Einsatz, vierhundert Leute arbeiteten in der Konservenfabrik. Doch die Fangergebnisse gehen kontinuierlich zurück. In den siebziger Jahren lag die Quote noch bei über zweitausend Tonnen Thunfisch, in den achtziger Jahren nur noch bei zweihundertfünfzig Tonnen. Kein Job mit Zukunftsperspektive. Die Thunfischjagd ist nicht wie der Stierkampf ein Selbstzweck, sondern die traditionelle wenn auch grausame Methode des Fischfangs, auf die das ganze Jahr über hingearbeitet wird. Das Unterfangen ist so ernsthaft wie gefährlich und erfordert auch immer wieder Opfer. Die Flossenschläge können Menschen töten.
    Die Netze für die mattanza werden im April ausgeworfen, bis zu zehn Kilometer davon, im Winter wurde heftig daran geflickt. Allein der Aufbau der tonnenschweren, durch Anker am Meeresboden festgehaltenen Netze erfordert ungefähr zwei Monate Schwerstarbeit. Vor dem Verladen werden sie gesegnet, damit sie ins Wasser gleiten, ohne sich zu verwickeln. Mit magischen Formeln wird der Gott des Meeres beschworen. Die Netze münden in die »Kammer des Todes«, aus der es für die Fische kein Entrinnen mehr gibt. Um dieses letzte Netz ist ein Quadrat aus Fischerbooten postiert. Chef im Ring ist der rais, der in der Mitte des Getümmels von einem schwarzen Boot aus die Operation leitet. Zwischen April und Mai kommen riesige Thunfischschwärme auf dem Weg zu ihren Brutplätzen an der sizilianischen Küste vorbei, es sind Schwärme mit bis zu zehntausend Tieren. Die Fischer erwarten sie und erlegen sie dann im uralten Ritual der mattanza, des Massakers.
    Das Meer beginnt zu brodeln und eine riesige Schwanzflosse peitscht die Wellen, ein Thunfisch schießt wie ein Tornado durch die aufgewühlte See, ein zweiter, zehn, Hunderte. Die Männer bekreuzigen sich, murmeln rituelle Beschwörungsformeln vor sich hin, die Fische toben wie von Sinnen. Jagen durch das aufgewühlte Meer. Den riesigen Fischen wird der Platz zu eng auf dem aufgespannten Netz, in der tödlichen Falle, die die Thunfischjäger von Favignana gelegt haben. Sie scheinen zu ahnen, was ihnen bevorsteht. In ihrer Not bäumen sie sich auf, werfen sich hin und her, erschlagen und erdrücken sich gegenseitig. Den Rest übernehmen die Männer, sie treiben gewaltige metallene Haken in die Rücken der Tiere, aus den Wunden fließt Blut. Das Wasser verfärbt sich. Mit langen Stangen ziehen die Männer die Fische aus dem Wasser.
    Weil der Todeskampf nur wenige Sekunden dauert und die Tiere anders als beim Köder- oder Schleppnetzfang keine Giftstoffe freisetzen, gehört das Fleisch der Thunfische, die auf diese Weise erlegt werden, zu den besonderen Spezialitäten der Insel. Es geht nicht um die Art von Thunfisch, der zerkleinert in Dosen gequetscht wird und in den Regalen im Supermarkt landet, sondern um richtig dicke Brocken von rotem saftigen Fleisch. Das meiste davon kaufen heute die Japaner. Japanischer Thunfisch, der wegen des Laichzyklus nicht so gut
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