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Lesereise - Schweden

Lesereise - Schweden

Titel: Lesereise - Schweden
Autoren: Rasso Knoller
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die Ausleihenden – und »kein einziger Kommentar ist negativ«, sagt Norén voller Stolz.
    »Es war wie eine kostenlose Therapie gegen Vorurteile«, schrieb einer, und eine Frau meinte: »Es war ein wunderbares Gespräch. Ich verstehe jetzt die Situation muslimischer Frauen viel besser.«
    Oft bleiben die Gespräche auf dem Niveau einfacher Frage- und Antwortspiele. Darf eine muslimische Frau auch ohne Mann auf die Straße gehen? Sind Transvestiten schwul? Wie fühlt man sich als Farbiger unter lauter Weißen? Sind alle Moslems für Bin Laden?
    Die Feministin wird fast jedes Mal gefragt, ob sie Männer hasse und lesbisch sei. Der Rom muss ständig erklären, dass er nicht mit dem Wohnwagen übers Land zieht. Gerade vermeintlich »dumme« Fragen zeigen, wie wichtig Aktionen wie diese sind.
    Manchmal wird aber auch intensiv diskutiert. Wenn dann die fünfundvierzigminütige »Leihfrist« nicht ausreicht, werden auch schon mal Telefonnummern getauscht, und man unterhält sich an anderer Stelle weiter.
    Aus einigen dieser Treffen sind sogar tiefe Freundschaften entstanden. Norén erzählt von einem Jäger, der sich einen Tierschützer »auslieh«, um ihm mal so richtig die Meinung zu sagen. Nach einer Dreiviertelstunde Streit waren die beiden zwar immer noch nicht derselben Ansicht, sie hatten aber überraschend viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Beide verbrachten ihre Freizeit vor allem im Wald, waren in Umweltschutzgruppen aktiv und wählten sogar dieselbe Partei. Bald verabredeten sie sich zu Spaziergängen und Ausflügen. Ihre Geburtstage feiern sie inzwischen zusammen, wollen demnächst auch gemeinsam in den Urlaub fahren. Nur während der Elchjagdsaison gehen die beiden nach wie vor getrennte Wege.
    Andere Treffen wiederum ergreifen die Teilnehmer zutiefst. Ein zweiundsiebzig Jahre alter Rentner hatte sich den Transvestiten ausgeliehen. Schüchtern saß der alte Mann am Tisch, stellte leise seine Fragen und hörte dem Jüngeren aufmerksam zu, wenn dieser antwortete. Immer intensiver wurde das Gespräch, immer persönlicher die Fragen. Irgendwann liefen dem Alten die Tränen übers Gesicht. »Ich bin wie du«, sagte er und seine Stimme zitterte. »Aber bis jetzt konnte ich mit niemandem darüber sprechen.« Als der Mann nach Ende des Gesprächs aufstand, zitterten seine Knie. Lange schüttelte er dem jungen Transvestiten die Hand. Sichtlich mitgenommen trippelte er davon – ein alter Mann, der sein ganzen Leben lang seine Gefühle, sein wahres Ich hatte verstecken müssen. Zum ersten Mal konnte er seine Empfindungen zeigen, zum ersten Mal wurde er so akzeptiert, wie er wirklich war. Eine schöne Geschichte – und eine traurige zugleich.
    Momente dieser Intensität kommen nur selten vor. Doch jeder nimmt ein kleines Stückchen Wissen über eine andere Kultur oder einen anderen Menschen mit nach Hause. Mancher hat vielleicht sogar noch etwas über sich selbst erfahren. Als sich Catharina Norén von mir verabschiedet, schüttelt sie mir die Hand und sagt: »Es verbindet die Menschen mehr als sie trennt.«
    Inzwischen haben viele Bibliotheken in Schweden die Idee übernommen. Nicht mehr allein in Malmö werden »lebende Bücher« verliehen. »Das ist so normal geworden, dass über solche Aktionen allenfalls noch die Lokalzeitungen berichten«, sagt Norén. Eigentlich nicht schlecht, wenn eine gute Idee so oft kopiert wird, dass sie nichts Besonderes mehr ist.

Eine Reise zu sich selbst
Unterwegs auf dem Klaraälv
    Ing Marie Junler bringt uns den Schotstek und den Halbwurfknoten bei. Beides brauchen wir, denn in den nächsten sechs Stunden sollen wir ein Floß bauen – ganz ohne Nagel und Hammer, nur mit Hilfe von Seilen, die wir zusammenknoten. Vier Tage lang werden wir dann mit unserem »Eigenheim« den Klaraälv in Värmland hinunterschippern.
    Der Klaraälv entspringt jenseits der schwedischen Grenze in Norwegen und mündet nach vierhundertsechzig Kilometern in den Vänern, den größten See Schwedens und den drittgrößten Europas. Schon seit dem 17. Jahrhundert werden hier Holzstämme auf dem Wasser transportiert. Als es noch keine Straßen gab, bot der Fluss den einzigen Weg, sie aus den riesigen Wäldern im Landesinneren dorthin zu bringen, wo die Menschen lebten – an die Küste. Baumstämme zu flößen ist billig, und deshalb überließ man dem Wasser noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Arbeit. 1957, im Rekordjahr der Flößerei, trieb so viel Holz den Klaraälv hinunter, wie auf
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