Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)

Titel: Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)
Autoren: Victor Hugo
Vom Netzwerk:
Erdbeeren ebensogut gedeihen wie meine. Ich werde alles tun, was du willst, aber du mußt mir auch gehorchen.«
    Jean Valjean lauschte ihren Worten, ohne zu hören. Er fühlte nur die Musik ihrer Stimme.
    »Ja«, sagte er schließlich, »das wäre sehr schön, wenn wir zusammenleben könnten. Ich könnte zu den Leuten gehören, die einander fröhlich guten Tag zurufen. Schon am frühen Morgen sieht man einander. Jeder könnte ein Beet bebauen. Sie wird mich ihre Erdbeeren essen lassen, ich schenke ihr meine Rosen. Sehr schön, nur … schade!«
    Jean Valjean lächelte.
    Cosette nahm seine Hände in die ihren.
    »Mein Gott«, rief sie, »deine Hände sind ja noch kälter geworden. Bist du krank?«
    »Oh, ich fühle mich sehr wohl. Nur …«
    »Nur?«
    »Ich sterbe.«
    »Sterben!« rief Marius.
    »Ja, aber es bedeutet nichts«, entgegnete Jean Valjean. »Cosette, sprich weiter, ich will deine Stimme hören.«
    Marius starrte wortlos den Greis an.
    »Vater«, rief Cosette, »du wirst leben! Ich will, daß du lebst!«
    Jean Valjean sah sie innig an.
    »Ja, verbiete mir nur zu sterben. Wer weiß, vielleicht gehorche ich dir. Ich war schon dabei, als ihr kamt. Das hat mich aufgehalten. Mir scheint, ich bin wiedergeboren.«
    »Aber Sie sind ja noch voll Lebenskraft«, rief Marius, »wie könnenSie glauben, daß man so leicht stirbt? Sie hatten Kummer, gut, aber das ist jetzt zu Ende. Jetzt bitte ich Sie um Verzeihung, und auf den Knien! Sie werden leben, mit uns und lange! Wir sind zwei, aber wir haben nur einen einzigen Gedanken, Ihr Wohlergehen.«
    »Siehst du wohl, Vater«, sagte Cosette weinend, »auch Marius sagt, daß du nicht sterben wirst.«
    Wieder lächelte Jean Valjean.
    Jetzt wurde an die Tür geklopft. Es war der Arzt.
    »Guten Tag, Herr Doktor«, sagte Jean Valjean. »Dies sind meine Kinder.«
    Marius näherte sich dem Arzt. Er fragte nur »Herr Doktor …?«, aber in dieser Frage lag alles. Mit einem bedeutungsvollen Blick antwortete der Arzt.
    Jetzt schwiegen alle bedrückt. Jean Valjean betrachtete Cosette, als ob er ihr Bild in die Ewigkeit mitnehmen wollte. Der Arzt fühlte seinen Puls.
    »Also Sie sind es, die er brauchte!« murmelte er.
    Jean Valjean sah jetzt auch Marius und den Arzt heiter an. Man hörte, wie er mit schwacher Stimme sagte:
    »Sterben bedeutet nichts. Es ist schrecklich, nicht zu leben.«
    Plötzlich richtete er sich auf. Die Rückkehr der Körperkraft ist zuweilen ein Vorbote des Todeskampfes.
    »Ihr seid beide gut«, sagte Jean Valjean. »Ich will euch sagen, was mich gekränkt hat. Es tat mir leid, Herr Pontmercy, daß Sie das Geld nicht anrühren wollten. Dieses Geld gehört wirklich Ihrer Frau. Der schwarze Jett kommt aus England, der weiße aus Norwegen. Ihr findet das alles in dem Brief da. Was die Armbänder betrifft, habe ich entdeckt, daß es gar nicht gut ist, die Verschlüsse zu löten. Ungelötet sind sie hübscher und kommen billiger. Wenn ihr das lest, werdet ihr begreifen, daß man auf diese Weise viel Geld verdienen kann. Ich sage euch das alles nur, damit ihr beruhigt seid.«
    Er winkte Cosette und Marius, sie sollten näher treten. Leise, als ob er schon aus der Ferne spräche, fuhr er fort:
    »Tretet näher, ihr beiden! Ich liebe euch sehr. Auch du liebst mich, Cosette. Es ist schön, so zu sterben. Wußte ich es doch, daß du den Alten immer gern hattest! Du wirst doch ein wenig um mich weinen, nicht wahr? Aber nicht zuviel! Ich will nicht, daß du wirklich Kummer hast. Ihr sollt euch amüsieren, Kinder. Fast hätte ich vergessen, euch zu sagen, daß die Schnallen besser sind und einträglicher,wenn man den Dorn wegläßt. Wir haben schließlich sogar mit den Berliner Fabrikanten erfolgreich konkurriert. Gegen das schwarze Glas aus Deutschland kann man aber nicht kämpfen. Ein Gros, zwölfhundert gutgedrechselte Perlen, kostet nur drei Franken. Wenn man von den Schnallen zwölf Dutzend für zehn Franken herstellt, kann man sie für sechzig verkaufen. Da dürft ihr euch nicht wundern, wo die sechshunderttausend Franken herkommen. Es ist sauberes Geld. Ihr könnt mit gutem Gewissen reich sein. Ihr sollt euch einen Wagen halten, von Zeit zu Zeit ins Theater gehen und euren Freunden Gesellschaften geben. Ich habe Cosette geschrieben, sie wird den Brief finden. Er liegt dort auf dem Kamin zwischen den beiden Leuchtern. Sie sind aus Silber, aber für mich sind sie Gold, ja sogar Diamanten. Wenn man ein Talglicht in sie steckt, wird es zu einer Kerze. Ich weiß nicht, ob
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher