Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebenselixier

Lebenselixier

Titel: Lebenselixier
Autoren: Monika Bender
Vom Netzwerk:
musste, war er gern allein in
seiner Kirche, um zu beten. Doch an diesem Morgen hatte er eine Taschenlampe
bei sich und beugte nur flüchtig das Knie vor dem Allerheiligsten. Er eilte
weiter, zu einer kleinen, alten Holztür, die der Sakristei gegenüberlag.
Dahinter führten ausgetretene Steinstufen steil hinab. Es gab keine Beleuchtung
außer seiner Lampe.
    Für die Legenden,
die ein alter Küster ihm vor Jahren erzählte, hatte er damals nur Kopfschütteln
übrig gehabt. Heute überlief ihn ein Schauder, während er zum Eingang zu den
Katakomben hinabstieg. Der größte Teil der Altstadt Klarenbergs war von diesen
Tunneln unterhöhlt. Die wenigsten waren erforscht, viele seit Jahrhunderten
unpassierbar.
Am Fuß der Treppe stand er vor einer massiven, schmiedeeisernen Tür. Staub und
Spinnweben bedeckten die Eisenstäbe. Der Strahl der Taschenlampe traf auf
Bruchsteingemäuer und den Fels, auf dem die Fundamente der Elisabethenkirche
ruhten. Und auf ein gelbes Hinweisschild mit schwarzer Beschriftung.
    Zutritt verboten!
Einsturzgefahr!
    Darunter prangte
das Siegel der Stadtverwaltung. Seine Hand tastete zögerlich nach der
geschwungenen Klinke. Sie gab ein jämmerliches Quietschen von sich, als er sie
herabdrückte. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter.
Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie lange hatte er nicht mehr an den
alten Kauz gedacht, der längst auf dem Friedhof lag. Doch jetzt erinnerte er
sich an die brüchige Stimme des Küsters, als wäre es gestern gewesen.
    „Von wegen,
Einsturzgefahr! Die Dämonen der Finsternis hausen da unten. Länger als diese
Kirche steht. Länger als Klarenberg besteht.“
Vincente wusste nicht mehr genau, was er entgegnet hatte. Wahrscheinlich
irgendetwas wie: „Das sind doch nur Schauergeschichten.“
Der Küster ließ sich nicht beirren. „Tagsüber schlafen sie da unten. Und wenn
sie bei Nacht heraufkommen, steht ihnen der Sinn nach jungen Frauen, denen sie
das Blut aussaugen. Manche lassen sich verhexen und folgen ihnen in die
Dunkelheit. Die jungen Dinger heutzutage sind leichte Beute für den Teufel. Wie
sie herumlaufen und hinter den Männern her sind. Das ist gefährlich. Hier mehr
als anderswo. Denken Sie an meine Worte, Vater!“
    Vincente wandte
sich um und stieg die unebene Treppe wieder hinauf. Er bemühte sich bewusst,
umsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen, keine ungebührliche Hast an den
Tag zu legen. Das Kribbeln in seinem Rücken, dieses irritierende Gefühl, die
Dunkelheit hätte Augen, die ihn beobachteten, ignorierte er. Er durfte sich von
diesem Unsinn nicht anstecken lassen. Er hatte genug mit den Lebenden zu tun.
Hannah hatte sich ihm anvertraut und jetzt trug er Verantwortung für die arme
Seele. Schlimm genug, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen, die intimen
Bekenntnisse ihrer jüngeren Schwester zu lesen.
     
    Am folgenden
Abend saß Vincente an seinem Computer, sobald seine Aufgaben es zuließen. Er
war entschlossen, etwas zu finden, womit er die Brüche in Erikas Aufzeichnungen
auch für Hannahs Augen als Erfindungen entlarven konnte.
Bisher hatte er die Beschäftigung mit dem Internet als Zeitverschwendung
betrachtet. Aber darin bestand wohl ein Teil der Faszination, die das Netz
ausübte, überlegte der Priester. Kein Thema war zu abwegig, als dass sich nicht
Informationen und Gleichgesinnte aufspüren ließen.
    Unter dem
Stichwort Vampire landete er überwiegend bei Filmen, Büchern und Videospielen.
Und bei Menschen, die sich Plastikzähne anklebten. Tatsächlich fand er sogar
den Klub, den Erika mit ihren Freundinnen besucht hatte. Er fiel ebenfalls in
diese Kategorie. Auf seiner Homepage machte das Lokal mit seinem Image als ältester
Vampirtreffpunkt Süddeutschlands Werbung. Im nächsten Satz stand zu lesen,
dass angeklebte Zähne und Gothik-Outfit kein Muss darstellten. Schließlich
brauchten Darsteller ein Publikum und Vampire normalsterbliche Opfer. Zum Abschluss hieß es: „Lasst euch auf einen kultigen Spaß ein!“
Nun, das war natürlich eine Erklärung. Offensichtlich hatte einer der Darsteller es um einiges zu weit getrieben. Vincente verstand nicht, warum Erika glaubte,
tatsächlich gebissen worden zu sein. Aber wer konnte ahnen, welche bunten
Pillen der Mistkerl in Erikas Getränk praktiziert hatte?
Vincente nahm sich vor, Hannah diese Internetseiten zu zeigen. Es würde sie
schockieren, dass es Menschen gab, die sich mit derartigen Spielchen
beschäftigten, und dass ihre kleine Schwester in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher