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Klostergeist

Titel: Klostergeist
Autoren: Silke Porath
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sagen? Wie auf den Tod des Bürgermeisters eingehen, ohne schale Worte zu sprechen? Wie das Unbegreifliche, den Schock, begreiflich und erträglich machen? Pius wusste es nicht.
    »Vater unser im Himmel«, begann er schließlich die altbekannte Formel. »Geheiligt werde Dein Name …« Mit Inbrunst fielen die Mönche in das Vaterunser ein. Die Stimmen der Patres füllten den Raum und gaben Pius Sicherheit.
    »Amen«, sprach er schließlich und setzte sich wieder. Einen Augenblick herrschte völlige Stille. Dann sprang Johannes auf und verteilte die Platten, Brotkörbe und Kaffeekannen auf dem Tisch. Als er alles so platziert hatte, dass jeder der Brüder zugreifen konnte, setzte er sich wieder. Pius nickte Sunil zu. Der Philippine stand auf und sprach das Tischgebet.
    »Herr, allmächtiger Vater, wir danken Dir für diese Speisen. Gelobt sei Dein Name, gelobt sei Dein Sohn, unser Herr Jesus Christus und gelobt sei unser aller Mutter, die Heilige Jungfrau Maria. Amen.« Sunils Stimme zitterte. Pius fragte sich, ob dem sanftmütigen Pater noch immer der Schock in den Knochen steckte oder ob er ganz einfach jämmerlich fror.
    Pater Johannes hielt ihm die Schinkenplatte unter die Nase. »Iss, greif zu, es wird dir guttun«, sagte er aufmunternd.
    Pius Magen war wie zugeschnürt. Er zögerte. Er würde keinen Bissen hinunterbekommen. Stumm schüttelte er den Kopf. Doch so etwas ließ Johannes nicht gelten. Der Pater griff selbst zur Serviergabel und häufte seinem Superior Speck, Lyoner und Salami auf den Teller. Pius seufzte ergeben und griff nach dem Brotkorb. Während er eine Toastscheibe mit irischer Butter bestrich, schenkte Johannes ihm dampfend heißen Kaffee ein.
    Eine Weile aßen die Patres schweigend. Bruder Ortwin schlang hastig ein weich gekochtes Ei hinunter und spülte mit Orangensaft nach. Dann sprang er auf, warf die Stoffserviette auf seinen Teller und entschuldigte sich: »Ich muss los, der Unterricht beginnt in zehn Minuten, ich bin zu spät dran.«
    »Gott mit Dir«, antworteten die Patres wie aus einem Mund. Pater Wolfgang wollte Ortwin noch nachrufen, dass er die gemeinsame Orgelprobe am Nachmittag nicht vergessen solle, doch da war der Lehrer schon durch die Tür verschwunden.
    »Es ist gut, dass Ortwin seine Pflicht nicht vergisst. Die Verrichtungen des Alltags werden uns alle ablenken«, sagte Josef. Der Pförtner blickte auf seine Armbanduhr und stand dann ebenfalls auf. »Ich muss mich um die Einladungen zur Weihnachtsmesse kümmern«, meinte er entschuldigend. »Zwei Gruppen haben sich zur Übernachtung für die Adventswochen angekündigt und die Damen vom Strickzirkel planen einen Basar.« Josef nahm seinen Teller, stapelte den von Ortwin darauf und stellte beide auf den Servierwagen.
    »Bitte denke an die Überweisungen!«, rief Pius ihm nach. Und schämte sich im selben Augenblick – wie konnte er an solch einem Morgen, da der Tod an die Klosterpforte geklopft hatte, an die Strom- und Wasserrechnungen denken?
    Sunil riss ihn aus seinen Gedanken. »Auch ich muss mich nun entschuldigen, ich habe dem Seniorenkreis zugesagt, dass ich zur Morgenandacht ins St. Josef gehe.« Unmerklich verzog der Missionar das Gesicht und Pius erinnerte sich an das Entsetzen des Philippinen, als dieser zum ersten Mal im Spaichinger Altersheim gewesen war. Für ihn, den Mann aus einem armen Land, war es unbegreiflich, dass die reichen Deutschen, deren Sprache er bis fast zur Perfektion am Goethe-Institut in Manila studiert hatte, ihre Großväter und -mütter nicht im Schoß der Familie aufnahmen, wenn diese gebrechlich und alt wurden.
    »Ich werde mit dir fahren«, bot Wolfgang an. »Ich muss in die Apotheke und kann auf dem Rückweg gleich ein paar Besorgungen machen.« Wolfgang beeilte sich, Sunil zu folgen – der Brüderliche Orden verfügte über drei Fahrzeuge, einen altersschwachen Punto, mit dem Ortwin eben vom Hof fuhr, einen gelben Polo und einen VW-Golf aus der Rolling Stones-Edition.
    »Du siehst müde aus«, sagte Johannes sanft, als nur noch er und Pius im Refektorium saßen. »Trink noch einen Kaffee.« Ehe Pius auf seinen nicht ganz optimalen Blutdruck verweisen konnte, goss Johannes ihm bereits nach, gab Milch und Zucker dazu und rührte, wie eine fürsorgliche Mutter, den Kaffee um.
    »Ach, Johannes, ich glaube, das war alles ein wenig zu viel des Guten.«
    »Wolltest du weniger Milch? Weniger Zucker? Ich schütte es weg«, rief Johannes und griff nach der Tasse.
    »Nicht doch, nicht doch,
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