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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme
Autoren: George R.R. Martin
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junge schlanke Frau nahm ihm das Messer weg.
    „Es tut mir leid“, sagte die Frau, die das Kommando übernommen hatte.
    „Laßt mich los!“ befahl er. „Ich bin der Landmann!“
    „Nein“, antwortete sie, „nein. Ich fürchte, Herr, du bist sehr krank.“
    Noch nie hatte das düstere Gemäuer so ein Fest erlebt.
    Die grauen Wände waren mit leuchtenden Bannern– und bunten Laternen geschmückt. Ein Duft von Braten, Wein und Feuer lag in der Luft. Alle Tore waren weit geöffnet.
    Viele Landwachen befanden sich in der Festung, aber kaum jemand trug eine Uniform, und die Waffen waren vergessen.
    Die Galgen waren niedergerissen, an ihrer Stelle hatte man ein Podium aufgebaut, auf dem Jongleure, Zauberer, Clowns und Sänger die Menge unterhielten.
    Im Innern standen alle Türen offen, und es gab alle nur denkbaren Lustbarkeiten. Man hatte die Gefangenen aus den Kerkern befreit, und selbst der niederste Pöbel aus den Straßen von Thayos war zu dem Fest eingeladen worden. In der großen Halle hatte man Tische aufgestellt, auf denen riesige Käseräder, Körbe mit Brot und alle Sorten geräucherten und getrockneten Fischs lagen. Die Feuerstellen dufteten nach Schweinebraten und Seekatzen am Spieß. Überall standen Fässer mit Wein und Bier.
    Musik und Gelächter erscholl aus allen Räumen. Seit Menschengedenken hatte man nicht so ein großes und reichhaltiges Fest erlebt. Zwischen den Leuten aus Thayos bewegten sich einige schwarzgekleidete Figuren. Keine Trauergäste – Flieger. Die Flieger, Einflügler und geborene Flieger gleichermaßen, galten neben den Sängern als Ehrengäste, man prostete ihnen zu und feierte sie.
    Maris versuchte, sich einen Weg durch die lärmende Menge zu bahnen. Das Fest dauerte nun schon Stunden. Ihr war ein wenig übel vom vielen essen und trinken, und die Ehrungen, die ihr zuteil wurden, hatten sie müde gemacht. Jetzt wollte sie nur noch Evan finden und nach Hause gehen.
    Dann rief jemand ihren Namen. Zögernd drehte sich Maris um. Sie sah die neue Landherrin von Thayos in einer langen bestickten Robe, die sie überhaupt nicht kleidete.
    Maris bemühte sich zu lächeln. „Ja, Landherrin?“
    Die ehemalige Landwache verzog das Gesicht. „Ich denke, daß ich mich an den Titel gewöhnen werde, aber er weckt immer noch böse Erinnerungen in mir. Ich habe dich heute nur kurz gesehen, hast du ein paar Minuten Zeit für mich?“
    „Ja, natürlich. Soviel wie du willst. Dir verdanke ich mein Leben.“
    „Jetzt hör aber auf. Deine Handlungsweise hat viel mehr Mut erfordert als das, was ich getan habe. Man wird sich später erzählen, daß ich das alles sorgfältig geplant und vorbereitet habe, um die Stellung des Landmannes einzunehmen. Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, aber seit wann kümmern sich die Sänger darum, was wahr ist?“ Ihre Stimme klang verbittert, Maris sah sie erstaunt an.
    Gemeinsam gingen sie durch einige Räume, in denen Spieler, Betrunkene und Liebespaare saßen, bis sie schließlich ein leeres Zimmer fanden, in das sie sich setzen und reden konnten.
    Da die Landfrau schwieg, begann Maris „Den alten Landmann wird sicherlich niemand vermissen. Meiner Meinung nach war er nicht sehr beliebt.“
    Die neue Landfrau runzelte die Stirn. »Nein, man wird ihn genausowenig vermissen wie mich, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Aber er hat unsere Insel gut geführt, bis er zu ängstlich und närrisch wurde. Ich habe es nicht gern getan, aber mir blieb keine andere Wahl. Dieses Fest stellt meinen Versuch dar, den Übergang freudig, statt beängstigend zu machen. Um meine Leute glücklich zu machen, mußte ich mich verschulden.“
    „Sie wissen es zu schätzen“, sagte Maris. „Alle sind sehr glücklich.“
    „Ja, im Moment. Aber ihr Gedächtnis ist kurz.“ Die Landfrau schüttelte sich, als wollte sie diesen Gedanken vertreiben. Die Falte zwischen ihren Augen glättete sich, und ihre Züge wirkten jetzt viel freundlicher. „Ich wollte dich nicht mit meinen persönlichen Problemen langweilen. Ich habe dich zu diesem Gespräch gebeten, weil ich dir sagen wollte, wie sehr du in Thayos respektiert wirst und daß ich deinen Versuch, zwischen den Fliegern und der Bevölkerung von Thayos Frieden zu schließen, anerkenne.“
    Maris überlegte, ob sie wohl errötet war. „Bitte“, sagte sie. „Nicht. Um ehrlich zu sein, ich habe in erster Linie an die Flieger und nicht an die Bevölkerung von Thayos gedacht.“
    „Das spielt keine Rolle. Was du getan hast, zählt. Du
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