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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe
Autoren: Herve Le Tellier
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Lachanfall geschüttelt, das Auto fährt im leichten Zickzack. Die Mädchen wachen nicht auf.

STAN
    Aus dem Fenster eines Hotelzimmers beobachtet Stan, wie sich die Winternacht langsam über Lissabon senkt.
    Im Schatten der Platanen schlängelt sich eine lange Reihe von wartenden Taxis um den Rossio. Der abendliche Regenschauer hat aufgehört, die Menschenmenge bildet nicht länger ein Ballett von schwarzen Regenschirmen. Die nächste Kundin ist eine dicke, mit Paketen beladene Dame. Sie schnauft und pestet gegen Wind und Wetter, alles behindert sie, ihre Einkäufe, ihr durchnässter Regenmantel, ihr eigenes Gewicht. Gewiss trägt sie einen sehr respektablen Namen, vielleicht Madame Costa, oh ja, das ist es, Madame Manuela Costa. Sie hat es eilig, nach Hause zu kommen und alles in die Schränke zu räumen, bevor Monsieur Costa heimkommt. Und beladen wie sie ist, sagt sie sich sicher, dass das Geld für eine Taxifahrt keine übertriebene Ausgabe darstellt. Sie lächelt, sagt sich, dass das Leben manchmal so schön ist wie ein großes Kaufhaus.
    Unter den Bettlaken liegt, in Stans Rücken, eine nackte, schlafende Frau, die Wange ins Kopfkissen gedrückt. Die Stumpfsinnigkeit des Ausdrucks nimmt ihr die vage Ähnlichkeit mit Vermeers
Mädchen mit dem Perlenohrgehänge
, dieStan ihr zuerst zugestanden hatte. Die Schlafende heißt Marianne Laurent, ist verheiratet, steht zu ihren fünfunddreißig Jahren, lacht völlig unmotiviert und arbeitet im Lyoner Krankenhaus Édouard Herriot in der Abteilung von Bongrand, wo sie Hornhautoperationen vornimmt – was ihre Anwesenheit beim sechsten Kongress der
European Association for Vision and Eye Research
erklärt. Stan weiß inzwischen, dass sie sich Schönheitsoperationen an Lippen und Busen unterzogen, eine ausgesprochene Vorliebe für oralen Sex und eine Tendenz zum kurzen Quieken hat. An der Hotelbar haben sie Portwein getrunken, zu viel. Sie war es, die ihn sehr entschlossen in ihr Zimmer mitgenommen hat. Er überließ ihr die Initiative, bevor er selbst mit einer Rage im Leib, zu der er sich nicht fähig geglaubt hatte, die Rollen vertauschte.
    Stan lehnt seine Stirn an die Glasscheibe, seine Haut lechzt nach beißender Kälte. Jedes Taxi vollzieht die gleiche langsame Umrundung des Springbrunnens mit der Bildsäule des Dom Pedro IV. Stan nimmt sich die Zeit, die Gesichter der Taxifahrer genau zu studieren, den zu erkennen, der bei jedem Wetter eine alte graue Wollweste trägt, oder den, der ein kurzärmeliges Polohemd vorzieht. Jeder hat seine eigene Art, die Fahrgäste zu empfangen. Der eine dreht sich fröhlich lächelnd um, der andere wartet grummelnd, mit fest auf das Lenkrad fixiertem Blick auf Anweisungen. Muss ein Fahrer Gepäck in den Kofferraum räumen, dann lässt sich an seinen routinierten Bewegungsabläufen alles über ihn erfahren, über seinen Ischias, seine schlechte Laune, seine Gewohnheiten. Stan kann ihm eine Existenz zuordnen, eine Frau, eine Geliebte, ein, zwei, drei Kinder, er stellt sich den Hund vor, Pudel oder Bulldogge, der auf dem Vordersitz döst.
    Marianne Laurent schnarcht wenig anmutig, mit offenem Mund. Anna sagte, dass der Geschlechtsakt beim Mann, und zuweilen auch bei der Frau, »entseelt« sein kann – genau so hatte sie es ausgedrückt. Das muss Stan nun einsehen. Er hat sich den Gesten dieser Frau unterworfen, sich der gebieterischen Gier des eigenen Geschlechts ergeben, und er hat sie – in einer Art Selbstzerstörungswut, in einem Akt entsetzlicher Einsamkeit – ohne Zärtlichkeit oder Liebe genommen. Er schließt die Augen. Gerne würde er sich noch einmal in der Lüsternheit dieser fremden Lippen vergessen, sich ein letztes Mal in diesem weichen und begehrenden Fleisch verlieren.
    Aber die Taxis kreisen um den Platz, und Stan lässt sich in diesen trägen Strudel hineinziehen, der ihn plötzlich zu Anna zurückführt, zu dem düsteren Gedanken an Annas nackten Körper unter dem Körper eines anderen, und das Bild, das in ihm aufsteigt, zermürbt ihn.

THOMAS UND LOUISE
    I remember when rock was young
    Me and Suzie had so much fun
    Holding hands and skimming stones
    Had an old gold Chevy and a place of my own
    But the biggest kick I ever got
    Was doing a thing called the Crocodile Rock
    Der Song von Elton John und Bernie Taupin stammt aus den siebziger Jahren, aber der Honky-Tonk-Modus der Farfisa-Orgel klingt gar nicht so veraltet. Louise hat so oft zu
Crocodile Rock
getanzt, dass das Stück sie gleichermaßen gut daran
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