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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Link
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vergewisserte er sich, und aus seinem Mund hörte es sich fast so an, als planten wir irgendetwas Obszönes. Garrett hätte in keiner Lebenslage Stille und Abgeschiedenheit gesucht.
    »Ja«, sagten Matthew und ich im Chor, und dann, zum ersten Mal seit Tagen, grinste Matthew schwach und wies mit seinem Glas in meine Richtung. »Schauen Sie sie an! So wie sie im Moment aussieht, kann man mit dieser Frau nur in die tiefste Einsamkeit flüchten.«
    Auch ich versuchte ein Grinsen. Es geriet ziemlich schief. Mein Gesicht schmerzte einfach noch zu sehr.
    Matthew, Max und ich brachten Garrett zu seinem Auto. Er nahm mich zum Abschied in die Arme, und ich konnte spüren, dass sich wirklich etwas verändert hatte: Ich mochte ihn. Er war ein guter Freund. Ich wünschte mir, ihn ein Leben lang als Freund zu behalten. Alles Quälende, was früher zwischen uns gewesen war, hatte sich in Luft aufgelöst. Es gab keine Bitterkeit mehr. Es klang für mich selbst theatralisch, aber ich hatte ihm vergeben. Wirklich und aus freiem Herzen. Deshalb konnten wir jetzt tatsächlich Freunde werden.
    Die beiden Männer verabschiedeten sich relativ kurz und kühl voneinander. Dann stieg Garrett in sein Auto. Ich winkte ihm, bis er an der nächsten Straßenecke verschwunden war. Matthew wartete unterdessen an der Haustür auf mich. Max buddelte im Vorgarten ein Loch.
    »Kommst du?«, fragte Matthew.
    Ich nickte. Gedankenverloren schaute ich in meinen Briefkasten, der neben der Tür hing. Ich zog den Brief heraus, der darin steckte, blaues, dünnes Papier, mit einer ziemlich wackeligen, unbeholfenen Schrift bedeckt. Ich riss den Umschlag auf.
    Und dann begann ich zu weinen. Ich stand auf den Stufen vor dem Haus, im Licht des sonnigen Tages, und konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Die Tränen stürzten nur so aus mir heraus. Ich heulte und heulte. Die Tränen von Jahren.
    »Was ist denn? Um Gottes willen, was ist denn?«
    Ich vernahm Matthews Stimme wie aus weiter Ferne. Ich spürte, wie sich seine Arme um mich schlossen. »Jenna, was ist denn los?«
    Ich konnte kaum sprechen.
    »Er ist … er ist von meiner Mutter«, sagte ich schließlich. Ich hatte ihr geschrieben. Gleich am Tag nach meiner Rettung, wie ich es mir an der Felswand geschworen hatte.
    »Von deiner Mutter?«
    »Sie hat sofort geantwortet. Matthew, sie will mich sehen. Sie will, dass ich sie besuche!«
    Er schaute mich verwirrt an.
    Ich wischte mir die Tränen ab. »Matthew, könnten wir etwas tun? Bevor wir uns in der Einsamkeit vergraben … Könnten wir über Coventry fahren? Und meine Mutter besuchen? Bitte!«
    »Natürlich«, sagte Matthew. »Wir haben ja sowieso kein Ziel. Also fahren wir einfach zunächst zu deiner Mutter.«
    Er schien immer noch etwas durcheinander. Mir ging dabei auf, dass ich ihm nie Näheres von meiner Mutter, von der Art unserer Trennung, von der jahrelangen Funkstille zwischen uns erzählt hatte. Eigentlich wusste er wenig über mich.
    »Lass uns nach oben gehen«, sagte ich. »Max gräbt sonst den gesamten Vorgarten um, und der Vermieter wirft mich raus, noch ehe ich etwas anderes gefunden habe.«
    Etwas anderes. Ein Zimmer im Studentenwohnheim oder irgendetwas zur Untermiete. Es gab vieles, was ich meiner Mutter erzählen wollte, aber als Erstes würde ich ihr berichten, dass ich mich an der Universität eingeschrieben hatte. Im Augenblick erschien es mir als das Allerwichtigste.
    Es war nicht so, dass ich glaubte, zwischen uns würde nun plötzlich die große Harmonie ausbrechen. Meine Mutter war der Mensch, der sie war, wie ich auch, und sobald wir beide uns zusammen in einem Raum aufhielten, war dieser angefüllt mit einer unangenehmen und hochexplosiven Spannung. Es war unwahrscheinlich, dass sich daran etwas geändert hatte, nur weil wir einander viele Jahre lang nicht gesehen hatten, obwohl wir sicher zunächst versuchen würden, sehr höflich und vorsichtig miteinander umzugehen. Trotzdem: Eine Tür, die ich hinter mir zugezogen hatte, öffnete sich wieder, und das fühlte sich gut an.
    Und ich war unglaublich gespannt auf das Gesicht meiner Mutter, wenn sie hörte, dass ich endlich mein Leben in Ordnung bringen würde.
    21
    Sie erkannte Corinne sofort unter all den Menschen, die aus dem Fahrstuhl stiegen und durch die Empfangshalle des Morriston Hospitals Richtung Ausgang strebten. Sie hatte sie auf einem Foto damals in Yorkshire gesehen: eine kleine, freundliche, etwas unscheinbare Frau mit braunen Haaren. Auf dem Bild allerdings hatte
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