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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame
Autoren: Joerg Kastner
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verdient gehabt, hätten sie einer besseren Sache gegolten. Doch in Anbetracht der Zerstörung und des vielfachen Todes, den der letzte Großmeister der Tempelritter zu verantworten hatte, gewannen tiefster Abscheu und bittere Verachtung in mir die Oberhand.

    Ich zwang meinen Verstand, sich ganz auf die verfahrene Lage zu konzentrieren, nach einem Ausweg zu suchen, nach einer Rettung für Colette. Aber was konnten wir drei mit unserer höchst unzulänglichen, ja lächerlichen Bewaffnung schon gegen de Harleys Armbruster ausrichten?
    Vielleicht verschaffte ein verzweifelter und für uns mit Sicherheit tödlicher Angriff Colette die Gelegenheit zur Flucht. Aber besaß sie noch die Kraft und den Willen dazu? Ich bezweifelte das, als ich sie bei ihrem toten Vater kauern sah, in sich zusammengesunken und bar jeder Hoffnung.
    Leonardo fuhr unbeirrt fort, auf den Großmeister einzureden: »Der Stein aus Luzifers Krone besitzt keine Macht mehr. Ich habe gesehen, wie er seine Kraft an die Maschine abgab, wie er sein grünes Leuchten verlor.«
    »Wegen Eures Eingreifens war der Sonnenstein nur kurz mit der Weltmaschine verbunden. Es ist gut möglich, daß er nicht alle Kraft verloren hat.«
    Leonardos Erwiderung ging in einem fürchterlichen Gebrüll unter.
    Seltsamerweise sah der Italiener erleichtert aus, schien genau darauf gewartet zu haben. Als ich das Untier sah, das wie ein rasender Rache-gott zwischen die Armbruster fuhr, verstand ich ihn.
    »Auf den Boden!« schrie Leonardo und ließ sich auch schon fallen.
    Tommaso und ich taten es ihm nach, gerade noch rechtzeitig, bevor zwei, drei Armbrustbolzen über uns hinwegsirrten. Die anderen Armbruster kamen nicht zum Schuß. Die zottige Bestie, Zoltan, riß sie um, sofern sie nicht die Flucht ergriffen. Der zwergenhafte Rudko saß auf Zoltans Rücken und lenkte das Tier mit kurzen Zurufen. Blitzschnell flogen die Bärenpranken durch die Luft und schlugen ein paar Dragowiten zu Boden, während der erregte Zoltan laut schnaubte und heulte.
    Hinter dem verwegenen Reiter tauchte Mathias mit seinen Zigeunern auf. Es war ein kurzer Kampf Mann gegen Mann, den die Dragowiten, nun in der Minderzahl, verloren. De Harlay fiel als letzter; Milosch und Yaron rammten ihm gleichzeitig ihre Dolche in Brust und Hals.

    Auch die beiden Templer vor uns waren zu Boden gegangen, nieder-gestreckt von den Armbrustholzen, die uns zugedacht gewesen waren.
    Le Mercier war ein Bolzen ins Herz gefahren, er war tot. Nicht so sein Großmeister.
    Der hatte eine Verwundung an der linken Schulter davongetragen und lag halb benommen auf dem Rücken. Die Maske war von seinem Kopf gerutscht. Das Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen hätte ein-nehmend wirken können, hätte es nicht eine große Härte und Grau-samkeit ausgestrahlt. Ich kannte es anders, mit einer anderen Maske, einem täuschend gewinnenden Lächeln.
    Jetzt zeigte Olivier le Daim, der Barbier des Königs, sein wahres Gesicht. Und es war, wie Leonardo gesagt hatte, wahrhaftig das Antlitz des Bösen. So kalt, so böse, so grausam. Die Augen glitzerten wie Seen aus Eis, als könnten sie niemals Wärme und Anteilnahme ausstrahlen.
    Zu Recht nannte man ihn le Diable – den Teufel. Wenn er nicht Satan selbst war, dann war er vom Bösen besessen!
    Leonardo, Tommaso und ich standen über ihm und starrten ihn an, gebannt von der Magie des abgrundtief Bösen. Welche Geschichte mochte hinter dem Schicksal dieses Mannes stehen? Wann und warum hatte er seine Seele dem Bösen verkauft?
    Zu lange standen wir tatenlos da. Plötzlich sprang Olivier le Daim auf die Beine, als spüre er seine Schulterwunde gar nicht. Die Rechte hielt noch immer das Schwert, und er führte es in einem weiten Kreis gegen uns. Wir wichen zurück und duckten uns, damit der Rasende uns nicht die Köpfe abschlug. Der Teufel in Menschengestalt nutzte die Zeit, sich umzudrehen und in die Abendschatten der Böschung einzutauchen.
    Leonardo rief Mathias, und der Herzog schickte dem Fliehenden ein gutes Dutzend Männer hinterher. Die Verfolger kehrten erst zurück, als die Nacht zur Gänze hereingebrochen war – ohne auch nur eine Spur des Entsprungenen entdeckt zu haben.
    »Wird er sein Teufelswerk fortsetzen?« fragte ich.
    »Das steht zu befürchten«, antwortete Leonardo düster. »Immerhin ist er der Günstling des Königs. Wir können jetzt nichts weiter tun, als Philippe de Commynes wissen zu lassen, welche Natter Ludwig an seinem Busen nährt.«
    Olivier le Daims Flucht stimmte
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