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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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allerdings absurd an. Die Bibel als Werk von Menschen verweist auf aktuelle Steinigungen zu ihrer Entstehungszeit, ihre Ausdehnung in der Antike ist nur zu schätzen. So berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte e. V. (IGFM), dass auch im antiken Griechenland vor der römischen Herrschaft Steinigungen verbreitet waren, wenn vermutlich auch nicht häufig. Sie wurden in erster Linie für Verrat und schwere religiöse Vergehen vollstreckt. Im präkolumbischen Mittelamerika sollen Ehebrecher gesteinigt worden sein. Vereinzelt gibt es Hinweise auf Steinigungen bei den keltischen Iberern (ausschließlich für Vatermörder) und einzelne Berichte von Steinigungen bei Etruskern, im vorchristlichen Skandinavien und durch baltische Slawen. Inwieweit es sich dabei um Einzelfälle gehandelt hat, und ob Steinigungen im vorislamischen Afrika, in Mittel- und Ostasien vollstreckt wurden, ist der IGFM nicht bekannt. Die Hinrichtungsform der Steinigung ist also nicht islamischen Ursprungs – aber Fakt ist, dass sie heute dort verhängt und vollstreckt wird, wo die Scharia Gesetz ist. Meist ist es das »Verbrechen« des Ehebruchs, mitunter Blasphemie, häufiger Homosexualität, das ein Steinigungsurteil nach sich zieht. Der Koran selbst erwähnt zwar die Steinigung, schreibt sie aber nicht als Hinrichtungsform vor. Die Steinigung als Strafmaß zieht ihre Legitimität aus der Überlieferung, den als vorbildlich angesehenen gesprochenen und geschriebenen Äußerungen des Propheten Mohammed, so, wie seine Nachfahren sie aufgeschrieben haben.
    Es ist sehr schwer, Zahlen und Fakten zu Steinigungsurteilen durch Scharia-Gerichte zu erhalten, da die Politik diese meist geheim hält, vielleicht auch aus taktischen Erwägungen. Würde zu viel über diese Barbarei bekannt, könnte es dem Ansehen der islamischen Staaten schaden und womöglich dazu führen, dass der politische Islam genauer angeschaut wird. Nicht nur in Regionen mit schwacher staatlicher Struktur, wie in Somalia oder Wasiristan, sind solche Recherchen und alles andere, was als Kritik an der Scharia ausgelegt wird, selbst für Einheimische lebensgefährlich. Mitglieder der IGFM Sektion Nigeria berichteten von Imamen, die die Mitglieder ihrer Gemeinde aufforderten, Ortsfremden keinerlei Auskunft über Scharia-Urteile und deren Vollstreckung zu geben. Die Ursache für die schwierige Informationslage liegt aber auch im Wesen der Steinigung als einem Quasi-Ehrenmord, der religiös legitimiert wird. Gerade dann, wenn nicht der ›offizielle‹ Scharia-Rechtsweg eingehalten wurde und die Steinigung stärker den Charakter eines Ehrenmordes hat, wird sie umso mehr durch eine Mauer des Schweigens vertuscht, dringt das Wissen kaum aus der Region, in der die Steinigung vollzogen wurde, hinaus.
    Steinigungsurteile sowie Steinigungen ohne Gerichtsurteile sind in den vergangenen Jahren aus den Ländern Afghanistan, Nigeria, Iran, Irak, Jemen, Pakistan, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan und den Vereinigten Arabischen Emiraten bekannt geworden. Darüber hinaus hat es in einigen Ländern Einzelfälle gegeben, die für das betreffende Land untypisch sind; die IGFM berichtet über eine Steinigung durch ethnische Somali im Norden Kenias, bei der das Opfer durch das Eingreifen der Polizei am Leben blieb.
    Die Scharia sieht absolute, also in jedem Fall zwingend zu verhängende Strafen für die sogenannten Hadd-Delikte, Grenzvergehen, vor. Es sind Vergehen, die nicht gegen die Menschen, sondern gegen Gottes Gesetz verstoßen. Gottes Recht muss wieder hergestellt werden, ein Prozess gegen den Täter ist unausweichlich. Anklage vor Gericht kann dabei jeder einreichen. Die Strafe darf nicht gemindert werden, auch nicht verschärft, nicht ausgesetzt werden oder aufgeschoben. Das Gericht darf nur Gottes Wort folgen, und das buchstabengetreu. Die Grenzvergehen sind Ehebruch und Unzucht, die Verleumdung wegen Ehebruchs und Unzucht, Diebstahl, Straßen- und Raubmord und der Genuss von alkoholischen Getränken. Meist wird die Homosexualität zudem als der Unzucht gleichgestellt angesehen.
    Auspeitschung ist vorgeschrieben bei Alkoholgenuss, ebenso bei »Kuppelei«, dem Zusammenführen von Personen zum Ehebruch. Im iranischen Gesetzbuch befassen sich allein 76 Artikel zu den Grenzvergehen mit »Sexualdelikten«. In einem Fall ist die Steinigung zwingend: bei Ehebruch, und zwar für verheiratete Männer ebenso wie für verheiratete Frauen. Im Iran werden also auch Männer gesteinigt, allerdings
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