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Hotel

Hotel

Titel: Hotel
Autoren: Arthur Hailey
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zwang.
    Sie bogen um eine Ecke und machten vor der Nummer 1439 halt. Der Boy klopfte an die Tür. Sie warteten und lauschten. Niemand antwortete, und Jimmy Duckworth klopfte noch einmal und kräftiger als vorher. Diesmal meldete sich der Bewohner sofort – mit einem unheimlichen Stöhnen, das leise begann, anschwoll und unvermittelt abbrach.
    »Den Hauptschlüssel, schnell!« drängte Christine. »Machen Sie die Tür auf.«
    Sie blieb zurück, während der Boy hineinging; selbst in einer so offenkundigen Notlage mußte das vom Hotel vorgeschriebene Dekorum gewahrt werden. Im Zimmer war es dunkel; Duckworth knipste das Licht an und verschwand aus Christines Blickfeld. Gleich darauf rief er beschwörend: »Kommen Sie schnell, Miss Francis!«
    Als sie den Raum betrat, empfing sie eine erstickende Hitze, obwohl der Schalter der Klimaanlage, wie sie mit einem Blick feststellte, auf »Kalt« zeigte. Zu weiteren Beobachtungen fehlte ihr die Zeit, denn ihre Aufmerksamkeit wurde völlig in Anspruch genommen von der röchelnden Gestalt, die halb aufgerichtet in den Kissen lehnte; das Gesicht aschgrau, rang sie mit hervorquellenden Augen und zitternden Lippen verzweifelt um Atem.
    Christine trat rasch ans Bett. Vor Jahren hatte sie im Sprechzimmer ihres Vaters einen Patienten bei einem Erstickungsanfall erlebt. Sie konnte zwar nicht alles tun, was ihr Vater damals getan hatte, aber an eine Maßnahme erinnerte sie sich noch genau. »Öffnen Sie das Fenster«, befahl sie Duckworth. »Wir brauchen hier drinnen unbedingt Luft.«
    Die Augen des Boys klebten am Gesicht des keuchenden alten Mannes. Er erwiderte nervös: »Das Fenster ist versiegelt. Wegen der Klimaanlage.«
    »Dann brechen Sie’s auf. Schlagen Sie meinetwegen die Scheibe ein, wenn’s nicht anders geht.«
    Auf dem Nachttisch stand ein Telefon. Sie griff nach dem Hörer, und als sich die Zentrale meldete, sagte sie: »Hier ist Miss Francis. Ist Dr. Aarons im Hotel?«
    »Nein, Miss Francis, aber er hat eine Telefonnummer hinterlassen, unter der ich ihn erreichen kann, wenn es sich um einen dringenden Fall handelt.«
    »Der Fall ist sehr dringend. Sagen Sie Dr. Aarons, Zimmer 1439, und er möchte sich bitte beeilen. Fragen Sie ihn, wann er frühestens im Hotel sein kann, und rufen Sie mich hier an.«
    Sie legte auf und wandte sich wieder dem Bett zu. Der schmächtige gelbliche Mann rang noch immer krampfhaft um Luft, und sie bemerkte, wie sein fahles Gesicht allmählich blau wurde. Das Stöhnen begann von neuem; es wurde von den Atembeschwerden verursacht, aber Christine erkannte, daß sich die schwache Widerstandskraft des Kranken vor allem durch seine verzweifelten körperlichen Anstrengungen erschöpfte.
    »Mr. Wells«, sagte sie und versuchte ein Gefühl der Zuversicht zu übermitteln, das sie keineswegs empfand, »ich glaube, Sie können leichter atmen, wenn Sie ganz still liegen.« Erleichtert stellte sie fest, daß der Boy am Fenster Fortschritte machte. Er hatte mit einem Kleiderbügel das Siegel an der Verriegelung gesprengt und stemmte nun den unteren Teil des Fensters Zentimeter für Zentimeter hoch.
    Wie als Antwort auf Christines beruhigende Worte ließ das Keuchen des kleinen Mannes nach. Er hatte ein altmodisches Flanellnachthemd an, und als Christine einen Arm um ihn legte, spürte sie unter dem groben Stoff seine knochigen Schultern. Sie stopfte ihm die Kissen so in den Rücken, daß er, von ihnen gestützt, fast aufrecht sitzen konnte. Seine sanften Rehaugen sahen sie an und versuchten ihr seine Dankbarkeit auszudrücken. »Ich habe einen Arzt benachrichtigt«, sagte sie tröstend. »Er muß jeden Moment kommen.« Indessen machte der Boy, vor Anstrengung keuchend, eine letzte Kraftanstrengung, der Verschluß gab plötzlich nach, und das Fenster glitt weit auf. Ein Schwall kühler Luft drang ins Zimmer. Das Unwetter war also doch auf dem Weg nach dem Süden, dachte Christine dankbar; es trieb eine frische Brise vor sich her, und die Außentemperatur mußte niedriger sein als seit Tagen. Das Telefon läutete. Sie bedeutete dem Boy durch ein Zeichen, ihren Platz am Bett des Kranken einzunehmen, und hob den Hörer ab.
    »Dr. Aarons ist auf dem Weg ins Hotel, Miss Francis«, sagte das Mädchen aus der Zentrale. »Er war in Paradis, und ich soll Ihnen ausrichten, daß er in zwanzig Minuten eintreffen wird.«
    Christine überlegte. Paradis lag jenseits des Mississippi, noch hinter Algiers. Selbst ein schneller und geschickter Fahrer würde die Strecke kaum
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