Horror Factory 10 - Rachegeist

dem Stuhl wuchte.
    Sein Schmerz ist mein Schmerz.
    Ich unterdrücke ein gequältes Stöhnen und drehe mich zum Tisch, um nach dem großen Tranchiermesser neben der silbernen Servierplatte zu greifen.
    Anschließend drehe ich mich in Richtung von Wild Bill und wanke auf schwachen, wackeligen Beinen los.
    Am Rande nehme ich wahr, wie Denise und Becca die Augen aufreißen und ungläubig in meine Richtung blicken.
    Denise berührt leicht Mikes Arm.
    Die Kinder hören auf zu weinen.
    Wild Bill bemerkt es nicht.
    Er lacht wiehernd und reißt den Säbel in die Luft.
    Es ist so weit.
    Er will anfangen.
    Bill steht genau vor meinen Kindern und Enkelkindern.
    Diesmal schimmert der Säbel im Licht der Deckenlampen.
    Ich ignoriere den Protest von Leonards Körper und zwinge ihn, einen gewaltigen Satz zu machen.
    Das Tranchiermesser dringt tief in Wild Bills Rücken.
    Die Kinder kreischen erneut.
    Die Erwachsenen schnappen nach Luft.
    Wild Bill versteift sich, als ich seine Lunge durchbohre.
    Der Säbel fällt scheppernd aufs Parkett.
    Wild Bills Körper folgt ihm umgehend.
    Er bricht vor dem Sofa zusammen.
    »Leonard?«, fragt Denise fassungslos.
    »Dad?«, macht Mike zeitgleich.
    Mit Leonards Fingern umklammere ich noch immer das Messer, von dem Wild Bills Blut tropft.
    Ich versuche erst gar nicht, zu antworten.
    Mit ihnen zu reden.
    Ihnen den ganzen Wahnsinn zu erklären.
    Stattdessen mache ich einen weiteren schwerfälligen Schritt.
    Nun stehe ich unmittelbar vor Elizabeth.
    Ich hebe Leonards Arm.
    »Leonard?«, macht Denise noch einmal schrill.
    Keiner macht Anstalten, aufzustehen.
    Als ob sie spüren, dass das mein Moment ist.
    Da spüre ich wieder das Ziehen.
    Es ist so stark wie noch nie.
    Und gleichzeitig anders als all die Male zuvor.
    »Leo?«, fragt nun auch Becca irritiert.
    Der Arm mit dem Messer schwebt drohend über Elizabeth.
    Marc lässt auch diese Chance zur Heldentat verstreichen und starrt noch immer mit offenem Mund auf Wild Bills Leiche.
    Elizabeth blickt Leonard dafür genau in die Augen.
    Und da sehe ich es.
    Das Verstehen.
    Die Erkenntnis.
    Das Schaudern.
    Das Wissen.
    Sie erkennt mich.
    Es ist …
    Verdammt.
    Das Ziehen.
    Es wird immer stärker.
    Nein.
    Bitte nicht.
    Ich will es zu Ende bringen.
    Zustechen.
    Mehr als alles andere.
    Bitte.
    Nur das.
    Bloß den Arm mit dem Messer nach unten fahren lassen.
    Wie einen Richtspruch.
    Aber das Ziehen wird immer fordernder.
    Immer schmerzhafter.
    Ich spüre, wie es versucht, mich aus Leonards Körper zu zerren und in eine neue Dunkelheit zu schleudern.
    Ich kämpfe dagegen an.
    Elizabeth sieht mir noch immer in die Augen.
    Unfähig, wegzuschauen.
    Unfähig, sich zu bewegen.
    Alle sind wie paralysiert.
    Komm schon.
    Mach.
    Nur noch das.
    Mehr nicht.
    Nur.
    Noch.
    Das.
    Los.
    Doch
    Das
    Ziehen
    Ist
    Zu
    stark
    JETZT!
    ENDE

In der nächsten Ausgabe
    Plötzlich taucht er vor ihr auf: Ein gesichtsloser Mann mit altmodischem Zylinder und dunklem Umhang. Aber dann, wie aus dem Nichts, werden aus dem einen Mann zwei, drei, fünf, dreizehn …
    Wer ist das Mädchen, das einsam in einer dunklen Dachkammer, mitten in einer feindlichen Umgebung zu Bewusstsein kommt? Ein Mensch oder ein Automat?
    Ein geheimnisvoller Fremder erklärt ihr, dass sie in großer Gefahr schwebt. Olympia nimmt den Kampf auf, der sie durch das Berlin vergangener und heutiger Zeiten führt – und dabei verfolgt sie die Frage: Wer hat sie in diese Welt gebracht – und warum?
    Der Schauer-Roman Glutherz ist eine hinreißend düstere Hommage an das Werk des großen Horror-Romantikers E. T. A. Hoffmann.
    HORROR FACTORY
Glutherz
von Oliver Buslau
    HORROR FACTORY erscheint vierzehntäglich in abgeschlossenen Folgen als E-Book und als Audio-Download (ungekürztes Hörbuch).

BASTEI ENTERTAINMENT
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    Redaktion: Uwe Voehl
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    Neue Horror-Geschichten. Deutsche Autoren. Digitale Originalausgaben.

    Robert C. Marley
Die Todesuhr
    Zerschunden und unter Schmerzen erwacht der Dichter Edgar Allan Poe in einem Kellerverlies. Dort trifft er auf einen geheimnisvollen Mann, der wie eine zwanzig