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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Autoren: Fred
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berühren.
    Uber der Muskete hingen zwei leere, reichverzierte schmiedeeiserne Haken.
    Daran hatte offenbar das Samuraischwert gehangen. Jetzt lag es auf dem
    Boden, neben Doris Flo Halvorsrud, Mutter von drei Kindern, einer Frau, der
    es nicht mehr möglich war, ihren fünfundvierzigsten Geburtstag zu erleben.
    Dieses Ereignis lag noch gute drei Monate in der Zukunft. Hanne durchsuchte
    die Brieftasche, die sie aus einer Handtasche in der Diele gezogen hatte. Die
    Augen, die irgendwann einmal in einen Fotoautomaten ge
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    schaut hatten, wiesen denselben überraschten Ausdruck auf wie der tote Kopf
    neben dem Kamin.
    In einem Plastikfach steckte ein Foto der Kinder.
    Hanne bekam eine Gänsehaut beim Anblick der drei Teenager, die von einem
    Ruderboot aus in die Kamera lachten, alle drei trugen rote Schwimmwesten,
    und der Älteste schwenkte eine Bierflasche. Die Kinder hatten Ähnlichkeit
    miteinander und mit ihrer Mutter. Der Biertrinker und seine Schwester hatten
    die gleichen blonden Haare wie Doris Flo Halvorsrud. Der jüngere Bruder
    hatte sich die Haare radikal kurz geschnitten, ein Skinhead mit Pickeln und
    Zahnklammer, dessen magere Jungenfinger über dem Kopf der Schwester das
    V-Zeichen formten.
    Es war ein Bild in starken Sommerfarben. Die orangen Schwimmwesten waren
    achtlos über braune Schultern gestreift worden, rote und blaue Badekleidung
    hing tropfend über den grünen Sitzbänken des Bootes. Das Foto zeigte
    Geschwister in einer Situation, wie sie selten erlebt wird. Es erzählte vom
    Leben, wie es fast niemals aussieht.
    Hanne Wilhelmsen legte das Bild zurück und dachte, daß sie bisher keines der
    Kinder im Haus gesehen hatte. Zerstreut strich sie mit dem Finger über eine
    alte Narbe in ihrer Augenbraue, klappte die Brieftasche zu und schaute sich
    noch einmal im Zimmer um.
    Eine halboffene Küche aus Kirschbaumholz war offenbar in die Rückseite des
    Hauses eingelassen. Die nach Südwesten schauenden Fenster waren groß, und
    im Licht der Stadt konnte Hanne Wilhelmsen eine großzügige Terrasse erken-
    nen. Dahinter lag der Oslofjord und spiegelte den Vollmond, der irgendwo
    über den Hügeln bei Baerum herumlungerte.
    Oberstaatsanwalt Sigurd Halvorsrud hatte die Hände vor das Gesicht
    geschlagen und saß auf einem klobigen Holzstuhl. Hanne konnte in seinem
    tief ins Fleisch eingewach
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    senen Trauring an seiner rechten Hand den Widerschein des Kaminfeuers
    sehen. Halvorsruds blaues Polohemd war von Blutspritzern bedeckt. Seine
    schütteren Haare waren blutverschmiert. Seine graue Wollhose mit den
    schmalen Aufschlägen wies überall dunkle Flecken auf. Blut. Überall Blut.
    »Ich werde nie begreifen, wieviel vier Liter Blut wirklich ausmachen«,
    murmelte Hanne und drehte sich zu Erik um.
    Der rothaarige Mann gab keine Antwort. Er schluckte und schluckte.
    »Himbeerbonbons«, mahnte Hanne. »Denk an etwas Saures. Zitrone.
    Johannisbeere.«
    »Ich habe nichts getan!«
    Jetzt schluchzte Halvorsrud. Er ließ die Hände sinken, sein Kopf fiel in den
    Nacken. Der hochgewachsene Mann rang um Atem und erlitt einen heftigen
    Hustenanfall. Neben ihm stand eine Polizeianwärterin, die einen Overall trug.
    Weil sie nicht so recht wußte, wie man sich am Tatort eines Mordes verhält,
    hatte sie eine fast militärische Habachtstellung eingenommen. Zögernd und
    ohne sonderliche Wirkung klopfte sie auf den Rücken des Staatsanwalts.
    »Das Schreckliche ist, daß ich einfach nichts tun konnte«, schluchzte er, als er endlich wieder in der Lage war zu atmen.
    »Er hat doch wirklich genug getan«, sagte Erik Henriksen leise und spuckte
    Tabakreste aus, während er sich an einer noch nicht angezündeten Zigarette
    zu schaffen machte.
    Der Polizist hatte sich von der enthaupteten Frau abgewandt. Jetzt stand er
    vor dem Aussichtsfenster, hatte die Hände im Rücken verschränkt und wippte
    ein wenig hin und her. Hanne Wilhelmsen legte ihm die Hand zwischen die
    Schulterblätter. Ihr Kollege zitterte. Und das konnte unmöglich an der
    Temperatur liegen. Obwohl der Strom aus
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    gefallen war, herrschten im Zimmer sicher mehr als zwanzig Grad. Beißend
    und harsch hing der Geruch von Blut und Urin zwischen den Wänden. Ohne
    die Leute von der Spurensicherung — die endlich nach einer unerträglichen
    Verspätung eingetroffen waren - hätte Hanne darauf bestanden, den Raum
    ordentlich zu lüften.
    »Fehler, Henriksen«, sagte sie statt dessen. »Es ist ein Fehler,
    Schlußfolgerungen zu ziehen, wenn du im Grunde
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